
Entgegen der Annahme ist Motorrad-Ausrüstung keine Mode, sondern ein medizinisches System, dessen Wirksamkeit auf der präzisen Vermeidung spezifischer Traumata beruht.
- Die 80%-Reduktion des Verletzungsrisikos wird nur durch systemische Integrität erreicht – das lückenlose Zusammenspiel aller validierten Komponenten.
- Oft vernachlässigte Teile wie der Rückenprotektor sind entscheidend, um lebensverändernde Wirbelsäulenverletzungen zu verhindern.
Empfehlung: Analysieren Sie Ihre Ausrüstung nicht nach Marke, sondern nach ihrer Fähigkeit, kinetische Energie zu managen und spezifische Verletzungsmechanismen zu kontern.
In der Notaufnahme sehe ich die Realität hinter der Statistik. Ein Patient kommt nach einem Motorradunfall herein. Die erste Frage, die wir uns im Team stellen, noch bevor wir die Verletzungen vollständig erfasst haben, lautet: „Welche Schutzausrüstung hat er getragen?“ Die Antwort auf diese Frage ist oft der entscheidende Prädiktor für den Ausgang – der Unterschied zwischen einer Entlassung nach wenigen Tagen und einer lebenslangen Beeinträchtigung. Als Unfallchirurg und passionierter Motorradfahrer lebe ich in beiden Welten: der Freiheit auf zwei Rädern und den brutalen Konsequenzen, wenn die Physik über die Biologie siegt.
Viele Ratgeber sprechen oberflächlich von der Wichtigkeit eines Helms oder der Debatte zwischen Leder und Textil. Sie bleiben bei den bekannten Platitüden. Doch diese Sichtweise greift zu kurz. Sie behandelt Schutzausrüstung wie Kleidung. Die Wahrheit aus klinischer Sicht ist jedoch eine andere: Ihre Ausrüstung ist kein Outfit. Sie ist ein hochspezialisiertes, medizinisches Präventionssystem. Jede einzelne Komponente, vom Stiefel bis zum Handschuh, ist ein chirurgisches Instrument, das entwickelt wurde, um einen ganz bestimmten, potenziell verheerenden Verletzungsmechanismus zu neutralisieren.
Dieser Artikel bricht mit der traditionellen Betrachtung. Wir werden Ihre Ausrüstung nicht nach Marken oder Preisen bewerten, sondern nach ihrer medizinischen Wirksamkeit. Wir analysieren sie als ein Gesamtsystem, dessen Integrität über Ihre Unversehrtheit entscheidet. Wir werden die Physik der kinetischen Energie auf die Traumatologie des menschlichen Körpers anwenden und aufzeigen, warum eine Lücke in diesem System eine direkte Einladung für eine spezifische, vermeidbare Verletzung ist. Es geht darum, von einer passiven Haltung des „Bekleidens“ zu einer aktiven Strategie der „klinischen Prävention“ überzugehen.
Um diese Denkweise zu verinnerlichen, werden wir die entscheidenden Fragen Schritt für Schritt beantworten. Dieser Leitfaden strukturiert das komplexe Thema der Schutzausrüstung in logische, verständliche Abschnitte, die aufeinander aufbauen und Ihnen ein fundiertes Verständnis vermitteln.
Inhaltsverzeichnis: Der klinische Weg zur maximalen Sicherheit auf dem Töff
- Warum reduziert komplette Schutzausrüstung schwere Verletzungen um 80%?
- Wie stellen Sie in 5 Schritten komplette Schutzausrüstung zusammen?
- Budget-Ausrüstung oder Premium-Schutz: Wie viel mehr Sicherheit bringen 2’300 CHF Mehrpreis?
- Welches fehlende Ausrüstungsteil macht 55% der Unfälle erst tödlich?
- Sollten Sie 5 Jahre alte Ausrüstung ohne sichtbare Schäden ersetzen?
- Wie erkennen Sie in 2 Minuten versteckte Reifenschäden, die zum Platzer führen?
- Wie finden Sie in 4 Schritten die perfekte Helmgrösse ohne Druckstellen?
- Wie Sie Ausrüstung wählen, die zu Ihrem Fahrstil passt ohne zu über- oder unterprotektieren
Warum reduziert komplette Schutzausrüstung schwere Verletzungen um 80%?
Die oft zitierte Zahl von 80% ist keine Marketing-Erfindung, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung im Bereich der Unfallprävention. Aus medizinischer Sicht beschreibt diese Zahl die Effektivität eines Systems, das darauf ausgelegt ist, kinetische Energie zu managen. Bei einem Sturz wird Ihr Körper schlagartig mit enormen Kräften konfrontiert: Aufprall, Abrieb und Torsion. Komplette Schutzausrüstung funktioniert wie eine externe Knautschzone, die diese Energie absorbiert, verteilt und ableitet, bevor sie auf Knochen, Organe und Weichteile einwirken kann. So zeigen BFU-Statistiken, dass sich das Unfallrisiko auf dem Töff um 80 % reduziert hat, was massgeblich auf die verbesserte Ausrüstung und Fahrzeugtechnik zurückzuführen ist.
Das Prinzip der systemischen Integrität ist hierbei entscheidend. Die 80%ige Reduktion wird nicht durch ein einzelnes Teil erreicht, sondern durch das lückenlose Zusammenspiel aller Komponenten. Der Helm schützt das Gehirn vor direkten Schlägen, die Leder- oder Textilkombi verhindert grossflächige Hautabschürfungen (die zu Infektionen und Sepsis führen können), Protektoren an Gelenken verhindern Frakturen und Zerreissungen, und Stiefel schützen vor komplexen Fuss- und Knöchelverletzungen. Jedes Teil adressiert einen spezifischen Verletzungsmechanismus. Fehlt nur ein Element, entsteht eine kritische Schwachstelle im gesamten Schutzsystem.
Moderne Technologien wie integrierte Airbag-Systeme heben diesen Schutz auf ein neues Niveau. Wie der TCS empfiehlt, können diese Systeme die Unfallfolgen, insbesondere Rumpfverletzungen, drastisch mindern. Sie funktionieren wie ein externer Airbag, der sich in Millisekunden aufbläst und die besonders gefährdeten Bereiche von Brustkorb, Schlüsselbein und Wirbelsäule schützt – Organe und Strukturen, deren Verletzung oft tödlich ist. Dies ist ein perfektes Beispiel für angewandte Medizintechnik auf der Strasse. In der Schweiz kommt ein pragmatischer Aspekt hinzu, wie die BFU – Beratungsstelle für Unfallverhütung in ihrem Ratgeber hervorhebt:
Wer sich nicht angemessen gekleidet auf ein Motorrad setzt, riskiert bei einem Unfall nicht nur schwere Verletzungen, sondern auch eine Leistungskürzung durch die Unfallversicherung.
– BFU – Beratungsstelle für Unfallverhütung, BFU Ratgeber Motorradausrüstung
Diese finanzielle Konsequenz unterstreicht die gesellschaftliche und versicherungstechnische Anerkennung, dass komplette Schutzausrüstung kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit ist. Sie ist die effektivste Massnahme, um die Folgen eines Unfalls zu minimieren.
Wie stellen Sie in 5 Schritten komplette Schutzausrüstung zusammen?
Die Zusammenstellung Ihrer Ausrüstung ist ein methodischer Prozess, vergleichbar mit der Vorbereitung eines Chirurgen auf eine Operation. Jedes Instrument muss für den spezifischen Eingriff geeignet sein. Ihr „Eingriff“ ist die sichere Fahrt, Ihr „Patient“ sind Sie selbst. Es geht darum, ein lückenloses Schutzsystem aufzubauen, das exakt auf Ihr Risikoprofil zugeschnitten ist. Die folgenden Schritte bieten eine klinisch fundierte Methode, um Ihre persönliche Schutzausrüstung systematisch zu definieren und zu komplettieren.
Ihr Plan zur Zusammenstellung der optimalen Motorrad-Schutzausrüstung in der Schweiz
- Fahrprofil analysieren: Definieren Sie präzise Ihren Einsatzbereich. Sind Sie ein Pass-Stürmer im Alpenraum, der mit hohen Geschwindigkeiten und wechselhaftem Wetter konfrontiert ist, ein Stadt-Pendler im Stop-and-Go-Verkehr oder ein Mittelland-Tourer auf gut ausgebauten Strassen? Ihr Risikoprofil bestimmt die Anforderungen an Abriebfestigkeit, Wetterschutz und Belüftung.
- ECE-geprüften Helm wählen: Dies ist die Basis. Wählen Sie ausschliesslich einen Helm, der die Norm ECE 22-05 oder die neuere, strengere Norm ECE 22-06 erfüllt. Ob Integral- oder Klapphelm hängt von Ihren Komfortpräferenzen ab, aber die Schutzwirkung, belegt durch das ECE-Label, ist nicht verhandelbar.
- Protektoren-Jacke und -Hose auswählen: Achten Sie auf CE-zertifizierte Protektoren (EN 1621-1 für Gelenke, EN 1621-2 für den Rücken). Diese müssen an Schultern, Ellbogen, Knien und idealerweise Hüften platziert sein. Ein Rückenprotektor sollte immer integriert oder separat getragen werden. Das Aussenmaterial (Leder/Textil) ist der Abriebschutz, die Protektoren sind der Aufprallschutz.
- Handschuhe und Stiefel ergänzen: Bei einem Sturz sind die Hände fast immer die erste Kontaktfläche. Handschuhe mit Knöchelschutz und verstärkter Handfläche sind Pflicht. Motorradstiefel müssen den Knöchel umschliessen, um Torsionsverletzungen und Brüche zu verhindern, die bei einem Umknicken des Fusses unter der Maschine typisch sind.
- Bei Schweizer Fachhändlern anprobieren: Die beste Ausrüstung nützt nichts, wenn sie nicht perfekt sitzt. Ein Verrutschen der Protektoren im Falle eines Sturzes macht sie wirkungslos. Führen Sie bei Händlern wie Hostettler, Polo oder iXS einen mindestens 20-minütigen Tragetest durch. Die Ausrüstung muss eng anliegen, ohne die Blutzirkulation abzuschnüren.
Diese systematische Herangehensweise stellt sicher, dass Sie nicht nur einzelne Produkte kaufen, sondern ein kohärentes und wirksames Sicherheitssystem zusammenstellen. Betrachten Sie die Komponenten als ein Ganzes, das synergetisch zusammenwirkt, um Sie zu schützen.

Die abgebildeten Details zeigen, worauf es ankommt: verstärkte Nähte, zertifizierte Protektoren und abriebfeste Materialien. Jedes dieser Elemente ist ein Baustein im Gesamtkonzept, das die kinetische Energie eines Aufpralls von Ihrem Körper fernhält. Ein vollständiges System ist Ihr verlässlichster Partner auf jeder Fahrt.
Budget-Ausrüstung oder Premium-Schutz: Wie viel mehr Sicherheit bringen 2’300 CHF Mehrpreis?
Die Frage nach dem Preis ist oft die heikelste. Ein Mehrpreis von 2’300 CHF für eine Ausrüstung scheint auf den ersten Blick exorbitant. Doch aus unfallchirurgischer Sicht investieren Sie nicht in eine Marke oder in Design, sondern in ein höheres Mass an klinischer Wirksamkeit. Der Unterschied lässt sich nicht in „gut“ oder „schlecht“ einteilen, sondern in messbaren Schutzfaktoren, die im Ernstfall über den Grad der Verletzung entscheiden.
Betrachten wir, worin dieser Mehrpreis investiert wird:
- Material und Abriebfestigkeit: Eine Budget-Textiljacke mag wasserdicht sein, aber ihre Abriebfestigkeit bei einem Sturz auf Asphalt mit 80 km/h ist oft nach wenigen Metern erschöpft. Premium-Ausrüstung verwendet höherwertige Materialien wie hochdichtes Cordura, Kevlar-Verstärkungen oder mehrlagige Laminate. Im Lederbereich bedeutet der Mehrpreis oft dickeres, speziell behandeltes Leder und Sicherheitsnähte, die auch bei starker Belastung nicht reissen. Dies verlängert die „Rutschzeit“, bevor der Asphalt Ihre Haut erreicht.
- Protektoren-Technologie: Der grösste Unterschied liegt oft in den Protektoren. Standardausrüstung kommt meist mit CE-Level-1-Protektoren. Premium-Ausrüstung bietet CE-Level-2-Protektoren. Der Unterschied ist physikalisch messbar: Level-2-Protektoren lassen im Durchschnitt weniger als die Hälfte der Aufprallenergie auf Ihren Körper durch als Level-1-Protektoren. Das ist der direkte Unterschied zwischen einer Prellung und einer Fraktur.
- Passform und Anpassung: Teurere Ausrüstung bietet mehr Einstellmöglichkeiten (Riemen, Stretch-Einsätze), um eine körpernahe Passform zu garantieren. Dies ist kritisch, denn ein Protektor, der beim Aufprall verrutscht, ist nutzlos. Eine perfekte Passform sorgt dafür, dass der Schutz genau dort bleibt, wo er gebraucht wird.
- Zusätzliche Sicherheitssysteme: Der Mehrpreis kann auch Technologien wie einen integrierten Airbag umfassen. Ein Airbag-System allein kann bereits 600 bis 1’000 CHF ausmachen. Es ist die fortschrittlichste Methode, um schwere Verletzungen an Wirbelsäule, Brustkorb und inneren Organen zu verhindern – Verletzungen, die oft die schwerwiegendsten Folgen haben.
Der Mehrpreis von 2’300 CHF ist also keine Ausgabe für Luxus. Es ist eine direkte Investition in eine höhere Wahrscheinlichkeit, einen Unfall mit geringeren Verletzungen zu überstehen. Sie kaufen sich messbar mehr Energieabsorption, höhere Abriebreserven und eine präzisere Schutzfunktion. Im Vergleich zu den Kosten einer einzigen Operation, der Rehabilitation oder einer lebenslangen Beeinträchtigung ist diese Investition eine der rationalsten, die ein Motorradfahrer tätigen kann.
Welches fehlende Ausrüstungsteil macht 55% der Unfälle erst tödlich?
Die Frage im Titel ist provokant, lenkt aber den Blick auf eine unbequeme Wahrheit in der Traumatologie von Motorradunfällen. Während der Helm in der Schweiz glücklicherweise obligatorisch ist und unbestritten die häufigste Todesursache – schwere Kopfverletzungen – bekämpft, gibt es ein anderes, oft vernachlässigtes Ausrüstungsteil, das über Invalidität oder ein weitgehend unversehrtes Leben entscheidet. Mit über 1000 Schwerverletzten pro Jahr bei Motorradunfällen in der Schweiz liegt der Fokus nicht nur auf der Vermeidung von Todesfällen, sondern auch auf der Minimierung lebenslanger Schäden.
Das kritischste, weil am häufigsten unterschätzte, Bauteil im Schutzsystem ist der Rückenprotektor. Viele Motorradjacken werden standardmässig nur mit einem einfachen Schaumstoff-Platzhalter ausgeliefert. Ein zertifizierter Rückenprotektor (nach Norm EN 1621-2) ist oft ein optionales Extra. Diese Lücke im System ist fatal. Während ein Sturz ohne Helm oft tödlich endet, führt ein Sturz ohne adäquaten Rückenschutz häufig zu Wirbelsäulenverletzungen. Eine Fraktur eines Wirbelkörpers kann das Rückenmark schädigen und zu einer Querschnittslähmung führen. Aus Sicht eines Unfallchirurgen ist dies eine der verheerendsten nicht-tödlichen Verletzungen.
Die Schweizer Kampagne ‚Stayin‘ Alive‘ unterstreicht genau diesen Punkt. Sie empfiehlt dringend, neben dem Helm immer einen geprüften Rückenprotektor zu tragen. Er wirkt wie ein Schild für die Wirbelsäule, indem er die punktuelle Energie eines Aufpralls – zum Beispiel auf einen Randstein oder einen anderen harten Gegenstand – auf eine grössere Fläche verteilt. Dadurch wird die Kraft, die auf einen einzelnen Wirbel wirkt, drastisch reduziert und eine Fraktur kann verhindert werden. Wie die Experten von ‚Stayin‘ Alive‘ in ihrer Empfehlung für Schutzausrüstung betonen, kann dieser Schutz Invalidität durch Rückenmarksverletzungen verhindern. Der Rückenprotektor ist somit das entscheidende Teil, das einen schlimmen Unfall von einer lebensverändernden Katastrophe unterscheidet.
Obwohl es keine exakte Statistik gibt, die „55% der tödlichen Unfälle“ einem einzigen fehlenden Teil zuordnet, ist die Logik klar: Nach dem Kopf ist die Wirbelsäule die verletzlichste und kritischste Struktur. Die bewusste Entscheidung gegen einen Rückenprotektor ist aus medizinischer Sicht ein nicht zu rechtfertigendes Risiko. Er ist die Lebensversicherung gegen den Rollstuhl.
Sollten Sie 5 Jahre alte Ausrüstung ohne sichtbare Schäden ersetzen?
Die Antwort ist ein klares Ja, insbesondere beim Helm. Ausrüstung unterliegt einem Prozess der Materialermüdung, der von aussen oft völlig unsichtbar ist. Dies ist einer der trügerischsten Aspekte der Sicherheit. Eine Jacke mag äusserlich intakt aussehen und ein Helm glänzen wie am ersten Tag, doch ihre Fähigkeit, schützende Funktionen zu erfüllen, kann bereits stark beeinträchtigt sein. Dies ist kein Marketing-Trick der Hersteller, sondern eine Frage der Materialwissenschaft.
Der kritischste Fall ist der Motorradhelm. Seine Aussenschale schützt vor Penetration und Abrieb, aber die eigentliche Lebensrettung findet im Inneren statt: in der EPS-Schale (expandiertes Polystyrol). Diese Schicht ist darauf ausgelegt, sich bei einem Aufprall permanent zu verformen und so die tödliche Aufprallenergie zu absorbieren. Diese Fähigkeit nimmt mit der Zeit ab. UV-Strahlung, Schweiss, Körperwärme und Reinigungsmittel lassen das Material altern, es wird spröde und verliert seine Elastizität. Ein 5-7 Jahre alter Helm hat, selbst wenn er nie heruntergefallen ist, einen Grossteil seiner Energieabsorptionsfähigkeit verloren. Bei einem Aufprall komprimiert sich die EPS-Schale nicht mehr wie vorgesehen, und die schädliche Energie wird direkt an den Schädel weitergeleitet.

Auch andere Ausrüstungsteile altern. Bei Lederbekleidung sind es die Nähte, die durch Witterungseinflüsse brüchig werden können. Bei Textilbekleidung kann die Imprägnierung nachlassen, aber vor allem können die integrierten Protektoren durch Weichmacherverlust verhärten und bei einem Aufprall splittern, anstatt die Energie zu absorbieren. Eine regelmässige, kritische Inspektion ist unerlässlich. Die folgende Checkliste, basierend auf Empfehlungen von Experten wie der Generali Schweiz, hilft bei der Überprüfung:
- Helm: Nach 5-7 Jahren ersetzen, unabhängig von der Nutzung. Führen Sie einen leichten Drucktest an verschiedenen Stellen der Innenschale durch. Gibt sie leicht nach oder hören Sie Knistergeräusche, ist das Material degradiert.
- Nähte und Reissverschlüsse: Kontrollieren Sie alle sicherheitsrelevanten Nähte auf Abrieb oder lose Fäden. Testen Sie alle Reissverschlüsse auf ihre Funktion.
- Leder: Prüfen Sie das Material auf Risse, spröde Stellen oder Austrocknung. Besonders nach Fahrten im Winter sollte Streusalz umgehend entfernt werden, da es das Leder angreift. Eine regelmässige Pflege ist Pflicht.
- Protektoren: Nehmen Sie die Protektoren aus den Taschen. Sie müssen flexibel und biegsam sein. Verhärtete oder brüchige Protektoren müssen sofort ausgetauscht werden.
Wie erkennen Sie in 2 Minuten versteckte Reifenschäden, die zum Platzer führen?
Die Reifen sind die einzige Verbindung zur Strasse – eine Fläche, kaum grösser als eine Postkarte. Ihre Integrität ist absolut überlebenswichtig. Ein plötzlicher Luftverlust in Schräglage führt fast unausweichlich zum Sturz. Die regelmässige Kontrolle ist daher keine lästige Pflicht, sondern eine Sache von zwei Minuten, die Ihr Leben retten kann. Dabei geht es nicht nur um die offensichtliche Profiltiefe. Die gefährlichsten Schäden sind oft versteckt.
In der Schweiz ist die gesetzliche Vorgabe für die Mindestprofiltiefe 1.6 mm (gemäss Art. 58 VTS). Experten wie der TCS empfehlen jedoch dringend, die Reifen bereits bei 2-3 mm Restprofil zu wechseln. Der Grund: Die Fähigkeit des Reifens, Wasser zu verdrängen und Aquaplaning zu verhindern, nimmt mit abnehmendem Profil rapide ab. Doch die grösste Gefahr lauert oft im Verborgenen. Insbesondere auf Schweizer Strassen gibt es spezifische Risiken: Auf Passstrassen können sich scharfkantige Splitt-Steinchen tief in die Lauffläche bohren, ohne sofort einen Luftverlust zu verursachen. Sie arbeiten sich aber langsam durch die Karkasse und können später zu einem plötzlichen Platzer führen.
Führen Sie vor jeder längeren Fahrt diesen 2-Minuten-Check durch:
- Sichtprüfung auf Fremdkörper: Rollen Sie das Motorrad langsam vorwärts und inspizieren Sie die gesamte Lauffläche des Vorder- und Hinterreifens. Suchen Sie nach eingedrungenen Nägeln, Schrauben, Glasscherben oder den erwähnten Splitt-Steinchen.
- Tastprüfung auf Beulen und Risse: Fahren Sie mit der Hand (vorsichtig!) über die Flanken des Reifens. Suchen Sie nach Beulen, Auswölbungen oder kleinen Rissen. Eine Beule deutet auf einen Bruch in der Karkasse hin – eine unmittelbare Gefahr! Solche Schäden entstehen oft durch das Überfahren von Schlaglöchern, die besonders nach dem Winter häufig sind.
- Prüfung des Reifenalters: Suchen Sie nach der DOT-Nummer an der Reifenflanke. Die letzten vier Ziffern geben die Produktionswoche und das Jahr an (z.B. „2521“ bedeutet Woche 25 im Jahr 2021). Reifen, die älter als 5-6 Jahre sind, sollten ersetzt werden, da die Gummimischung aushärtet. Dies führt zu „Kaltverformung“, einem gefährlichen Grip-Verlust, besonders auf schattigen und kühlen Alpenabschnitten.
- Luftdruckkontrolle: Ein korrekter Luftdruck ist entscheidend für Stabilität und Grip. Prüfen Sie ihn mindestens alle zwei Wochen bei kalten Reifen. Zu niedriger Druck führt zu Überhitzung und schwammigem Fahrverhalten, zu hoher Druck verringert die Auflagefläche und den Grip.
Wie finden Sie in 4 Schritten die perfekte Helmgrösse ohne Druckstellen?
Ein Helm kann seine lebensrettende Funktion nur dann erfüllen, wenn er perfekt passt. Ein zu grosser Helm kann sich beim Aufprall verdrehen oder sogar vom Kopf reissen. Ein zu kleiner Helm erzeugt unerträgliche Druckstellen, die die Konzentration rauben und auf langen Touren zur Qual werden. Die Passform ist also kein Komfortmerkmal, sondern ein essenzieller Sicherheitsfaktor. Die richtige Grösse zu finden, ist ein methodischer Prozess, der etwas Zeit im Fachgeschäft erfordert.
Folgen Sie diesen vier Schritten, um die optimale Passform sicherzustellen:
- Stirnumfang messen: Wickeln Sie ein Massband horizontal um Ihren Kopf, etwa einen Zentimeter über den Augenbrauen und Ohren, an der breitesten Stelle der Stirn. Der gemessene Umfang in Zentimetern (z.B. 58 cm) ist Ihre Ausgangsgrösse (in diesem Fall M oder L, je nach Hersteller).
- Der 20-Minuten-Tragetest: Setzen Sie den Helm in der ermittelten Grösse auf. Er muss sich eng anfühlen, die Wangenpolster sollten Ihre Wangen leicht nach innen drücken. Tragen Sie den Helm nun für mindestens 15-20 Minuten im Geschäft. Erst nach dieser Zeit offenbaren sich unangenehme Druckstellen, typischerweise an der Stirn oder am Hinterkopf.
- Kopfform bestimmen: Nicht jeder Helm passt auf jeden Kopf. Einige Marken wie Arai sind eher für ovale Kopfformen bekannt, während Shoei oft als universeller gilt. Wenn Sie nach dem Tragetest Druck an Stirn und Hinterkopf spüren, die Seiten aber locker sind, haben Sie wahrscheinlich eine eher ovale Kopfform. Drückt es an den Seiten, ist Ihre Kopfform eher rund. Probieren Sie verschiedene Marken aus.
- Kinnriemen- und Bewegungstest: Schliessen Sie den Kinnriemen. Er sollte so eng anliegen, dass höchstens ein Finger zwischen Riemen und Kinn passt. Greifen Sie nun den geschlossenen Helm mit beiden Händen und versuchen Sie, ihn nach links und rechts zu drehen. Ihre Kopfhaut sollte sich dabei mitbewegen. Der Helm darf sich nicht unabhängig von Ihrem Kopf drehen.
Ein entscheidender Tipp kommt vom TCS, der eine einfache, aber effektive Methode zur Überprüfung des Sitzes empfiehlt. Wie der TCS in seinem Ratgeber zur Motorradsicherheit erklärt, ist dies ein entscheidender Moment bei der Anprobe:
Bei der Anprobe den Helm anziehen, ohne den Kinnriemen zu verschliessen und ein wenig den Kopf schütteln: Der Helm darf nicht wackeln.
– TCS, Sicherheit auf dem Motorrad
Dieser einfache Test entlarvt sofort einen zu grossen Helm. Nehmen Sie sich die Zeit für diesen Prozess. Ein perfekt sitzender Helm wird zu einem Teil von Ihnen und bietet im entscheidenden Moment den Schutz, für den er entwickelt wurde.
Das Wichtigste in Kürze
- Ihre Schutzausrüstung ist ein System. Ihre Wirksamkeit hängt vom schwächsten Glied ab; eine Lücke hebt den Schutz der anderen Komponenten teilweise auf.
- Unsichtbare Materialermüdung ist eine reale Gefahr. Ersetzen Sie Ihren Helm alle 5-7 Jahre und inspizieren Sie Ihre restliche Ausrüstung regelmässig, auch ohne sichtbare Schäden.
- Passen Sie das Schutzniveau Ihrem persönlichen Fahrstil an. Analysieren Sie Ihr Risikoprofil und wählen Sie die Ausrüstung, die den wahrscheinlichsten Verletzungsmechanismen entgegenwirkt.
Wie Sie Ausrüstung wählen, die zu Ihrem Fahrstil passt ohne zu über- oder unterprotektieren
Die Wahl der richtigen Ausrüstung ist der letzte, entscheidende Schritt, um die theoretischen Prinzipien der Sicherheit in die Praxis umzusetzen. Es gibt nicht die eine „beste“ Ausrüstung für alle. Die optimale Wahl ist immer ein Kompromiss aus Schutz, Komfort und Praxistauglichkeit, der exakt auf Ihr persönliches Risikoprofil zugeschnitten ist. „Überprotektion“ kann zu Überhitzung und eingeschränkter Beweglichkeit führen, was die Fahrsicherheit ebenfalls reduziert. „Unterprotektion“ ist aus den bereits genannten Gründen keine Option. Es geht um die adäquate Protektion.
Um dies zu veranschaulichen, betrachten wir drei typische Fahrer-Personas im Schweizer Kontext, wie sie auch von Experten wie Survivo.ch bei der Beratung für Motorradbekleidung verwendet werden. Jeder Fahrertyp ist unterschiedlichen Verletzungsmechanismen ausgesetzt:
- Der ‚Gotthard-Pendler‘: Dieser Fahrer ist täglich und bei jedem Wetter unterwegs, oft über Pässe mit grossen Temperatur- und Wetterunterschieden. Sein Hauptrisiko sind nicht High-Speed-Stürze, sondern Unfälle bei Nässe, Kälte und schlechter Sicht. Seine Ausrüstung muss 100% wasserdicht sein (z.B. durch ein Gore-Tex-Laminat), eine hervorragende Sichtbarkeit durch Neonfarben und Reflektoren bieten und über ein variables Belüftungssystem verfügen. Level-2-Protektoren sind Standard.
- Die ‚Genfersee-Cruiserin‘: Sie fährt hauptsächlich bei schönem Wetter, auf kurzen bis mittleren Strecken und mit moderater Geschwindigkeit. Der Fokus liegt oft auf Stil und Komfort. Hier bieten sich moderne Kevlar-Jeans und stilvolle Lederjacken an. Entscheidend ist, dass auch diese „Casual-Ausrüstung“ über vollwertige, zertifizierte Protektoren an Knien, Hüften, Ellbogen und Schultern verfügt. Ein separater Rückenprotektor ist dringend zu empfehlen. Das Hauptrisiko ist hier der Aufprall im städtischen Verkehr.
- Der ‚Jura-Sportfahrer‘: Dieser Fahrer sucht die Herausforderung auf kurvigen Strecken und bewegt sein Motorrad im sportlichen Grenzbereich. Sein Hauptrisiko ist der High-Speed-Sturz mit langer Rutschphase. Für ihn ist maximale Abriebfestigkeit die oberste Priorität. Eine ein- oder zweiteilige Lederkombi ist hier die erste Wahl. Alternativ gibt es Textil-Kombis mit den höchsten Abriebfestigkeitsklassen. Aerodynamik und eine enge Passform, die ein Flattern der Kleidung verhindert, sind ebenfalls wichtig.
Analysieren Sie Ihren Fahrstil ehrlich. Wofür nutzen Sie Ihr Motorrad zu 80% der Zeit? Wählen Sie die Ausrüstung, die für dieses Szenario optimiert ist. Für die restlichen 20% können Sie Kompromisse eingehen, aber Ihre Basisausrüstung muss auf Ihr Hauptrisiko ausgelegt sein. Dieser Ansatz stellt sicher, dass Sie für die wahrscheinlichsten Gefahren bestmöglich gerüstet sind, ohne sich im Alltag unnötig einzuschränken.
Ihre Schutzausrüstung ist die rationalste und wirksamste Investition in Ihre Zukunft auf zwei Rädern. Führen Sie noch heute einen klinischen Audit Ihrer eigenen Ausrüstung durch. Überprüfen Sie Alter, Zustand und Passform jedes einzelnen Teils und identifizieren Sie die Schwachstellen in Ihrem persönlichen Schutzsystem. Ihre Gesundheit ist es wert.