Veröffentlicht am April 18, 2024

Die Wahl der richtigen PS-Zahl ist weniger eine technische als eine psychologische Entscheidung, die auf ehrlicher Selbstreflexion statt auf dem Datenblatt basieren sollte.

  • Übermotorisierung ist teuer: Sie bezahlen für Leistung, die Sie auf Schweizer Strassen weder legal noch sicher nutzen können.
  • Für Wiedereinsteiger ist die „Fähigkeits-Lücke“ zwischen altem Selbstvertrauen und eingerosteter Praxis das grösste Risiko – nicht die PS-Zahl allein.

Empfehlung: Beginnen Sie bewusst mit weniger Leistung (48-95 PS) und investieren Sie das gesparte Geld in hochwertige Fahrsicherheitskurse. Das bringt mehr Souveränität und Spass als 20 ungenutzte PS.

Die Suche nach einem neuen Motorrad beginnt oft mit einem Blick auf das technische Datenblatt. PS, Newtonmeter, Höchstgeschwindigkeit – die Zahlen versprechen Emotionen und Abenteuer. Viele Käufer in der Schweiz stehen vor der gleichen Frage: Reichen 48 PS? Brauche ich 95 PS für die Pässe? Oder müssen es 150 PS sein, um wirklich Spass zu haben? Die üblichen Ratschläge wie „mach eine Probefahrt“ oder „es kommt auf den Einsatzzweck an“ sind zwar richtig, kratzen aber nur an der Oberfläche eines viel tiefer liegenden Problems.

In meinen 20 Jahren als Fahrlehrer habe ich unzählige Fahrer begleitet und dabei eine entscheidende Lektion gelernt: Die gefährlichste Lücke ist nicht die im Verkehr, sondern die zwischen dem gefühlten Können und der tatsächlichen, aktuellen Fahrpraxis. Wir nennen das die „Leistungsfalle“. Es ist die Tendenz, ein Motorrad für das Ego zu kaufen und nicht für die Realität auf der Strasse. Dieser Artikel geht deshalb einen anderen Weg. Wir sprechen nicht nur über Technik, sondern vor allem über Sie – den Fahrer. Es geht darum, eine ehrliche, ego-freie Entscheidung zu treffen, die Ihnen langfristig mehr Sicherheit und Fahrspass bringt.

Für alle, die lieber zuhören und zusehen, fasst das folgende Video die Mythen und Realitäten rund um die PS-Leistung bei Motorrädern prägnant zusammen und ergänzt die hier besprochenen Punkte perfekt.

Um Ihnen eine strukturierte Entscheidungshilfe zu bieten, beleuchten wir in den folgenden Abschnitten die verschiedenen Aspekte der Leistungswahl. Von den physikalischen Limits auf öffentlichen Strassen über die speziellen Bedürfnisse von Wiedereinsteigern bis hin zur sicheren Entfaltung von Power auf der Rennstrecke.

Warum nutzen 70% der Sportler-Besitzer nur 40% ihrer verfügbaren PS im Alltag?

Die Faszination für hohe Leistung ist menschlich. Ein 180-PS-Motorrad verspricht ultimative Freiheit und Überlegenheit. Die Realität auf Schweizer Strassen sieht jedoch anders aus. Zwischen Tempolimits, Verkehrsdichte und der Physik stösst die theoretische Leistung schnell an ihre praktischen Grenzen. Ein wesentlicher, oft unterschätzter Faktor ist der Luftwiderstand. Eine Analyse zur Fahrzeugdynamik zeigt, dass dieser mit dem Quadrat der Geschwindigkeit zunimmt. Das heisst: Um von 100 auf 120 km/h zu beschleunigen, braucht man deutlich mehr Zusatzleistung als von 60 auf 80 km/h. Ein Grossteil der PS eines Supersportlers ist einzig und allein dafür ausgelegt, Geschwindigkeiten weit jenseits von 150 km/h zu erreichen – Bereiche, die im Alltag völlig irrelevant sind.

Diese ungenutzte Leistung ist nicht nur theoretischer Ballast, sie verursacht auch sehr reale Kosten. Höhere PS-Klassen führen in den meisten Kantonen zu deutlich höheren Versicherungsprämien und Strassenverkehrssteuern. Hinzu kommen oft höhere Servicekosten und ein gesteigerter Reifenverschleiss. Man bezahlt also einen erheblichen Aufpreis für eine Fähigkeit des Motorrads, die man zu 99% der Zeit nicht nutzen kann. Es ist, als würde man für den täglichen Einkauf einen Formel-1-Wagen nutzen: technisch beeindruckend, aber praktisch und finanziell unsinnig. Diese Diskrepanz zwischen Kaufgrund und Nutzungsrealität ist der Kern des Problems.

Ihr persönlicher Kosten-Check für ungenutzte PS

  1. Versicherungsprämien: Holen Sie konkrete Offerten für ein 80-PS- und ein 180-PS-Modell in Ihrem Kanton ein und vergleichen Sie die Jahreskosten.
  2. Strassenverkehrssteuern: Ermitteln Sie die jährlichen Steuern für beide Leistungsklassen bei Ihrem kantonalen Strassenverkehrsamt.
  3. Mehrkosten über 5 Jahre: Addieren Sie die jährlichen Mehrkosten für Versicherung und Steuern und multiplizieren Sie das Ergebnis mit fünf.
  4. Nutzbare Leistung bewerten: Seien Sie ehrlich – wie oft fahren Sie Strecken, auf denen mehr als 100 PS einen echten, legalen Vorteil bringen?
  5. Kosten-Nutzen-Verhältnis: Stellen Sie die berechneten Mehrkosten dem tatsächlichen Nutzen gegenüber. Ist Ihnen das Prestige die Summe wert?

Diese ehrliche finanzielle Bewertung ist oft der erste Schritt, um von der reinen PS-Faszination zu einer rationaleren und letztlich befriedigenderen Kaufentscheidung zu gelangen.

Wie viele PS brauchen Sie wirklich für Pendeln und gelegentliche Passfahrten?

Lösen wir uns von den Maximalwerten und betrachten die realen Anforderungen. Für den täglichen Weg zur Arbeit, das Pendeln durch Agglomerationen und über Landstrassen, ist nicht die Spitzenleistung entscheidend, sondern ein gutes Ansprechverhalten im unteren und mittleren Drehzahlbereich. Ein Motorrad mit 50 bis 80 PS und einem fülligen Drehmomentverlauf bietet hier alles, was man braucht: Souveränität beim Überholen eines Lastwagens, zügiges Beschleunigen an der Ampel und ein entspanntes Fahren ohne nervöse Gasannahme. Alles darüber hinaus ist meist nur für das Ego und erhöht im dichten Verkehr eher den Stress als den Fahrspass.

Die Schweizer Passstrassen sind das Traumziel vieler Biker. Doch auch hier ist der Ruf nach maximaler Leistung ein weitverbreiteter Irrglaube. In engen Kehren wie am Gotthard, Furka oder Susten sind Agilität, ein niedriges Gewicht und ein gut dosierbares Drehmoment aus dem Drehzahlkeller Gold wert. Ein schweres 200-PS-Superbike wird hier schnell zur Arbeit, während ein leichteres Motorrad mit 80 bis 110 PS spielerisch von einer Kurve in die nächste wedelt. Die Leistung reicht mehr als aus, um am Kurvenausgang kraftvoll zu beschleunigen, ohne dass man permanent Angst haben muss, vom Heck überholt zu werden. Der Fokus liegt auf der sauberen Linie und dem Rhythmus, nicht auf brachiale Gewalt.

Motorrad in enger Kurve auf Schweizer Passstrasse mit optimaler Schräglage

Wie dieses Bild einer Passfahrt zeigt, sind Schräglage und Linienwahl der Schlüssel zum Genuss. Hier zählt das Vertrauen ins Fahrwerk und die Dosierbarkeit der Kraft, nicht die schiere Menge an Pferdestärken. Ein übermotorisiertes Fahrzeug kann dieses Vertrauen untergraben und den Fahrer verkrampfen lassen, was den Spass erheblich schmälert und das Risiko erhöht.

Letztlich ist die Frage nicht „Wie viel PS kann ich mir leisten?“, sondern „Wie viel PS kann ich souverän und mit Freude nutzen?“. Für die meisten Fahrer in der Schweiz liegt die Antwort weit unter den Marketing-Versprechen der Hersteller.

48, 95 oder 150 PS: Welche Leistungsstufe für Wiedereinsteiger nach 10 Jahren Pause?

Wiedereinsteiger sind eine besondere Gruppe. Die Erinnerung an das frühere Können ist oft noch präsent, das Selbstvertrauen hoch. Doch die Realität ist, dass Fahrroutine, Reaktionsschnelligkeit und die Feinmotorik für Notmanöver über die Jahre verloren gegangen sind. Diese Diskrepanz – die „Fähigkeits-Lücke“ – ist extrem gefährlich. Aus diesem Grund ist eine konservative Herangehensweise an die Leistungswahl nicht nur vernünftig, sondern überlebenswichtig. Der Touring Club Schweiz (TCS), eine der höchsten Autoritäten für Verkehrssicherheit in der Schweiz, warnt eindringlich.

Wie der TCS in seinem Ratgeber zur Motorrad-Sicherheit betont, ist das Unfallrisiko für diese Gruppe besonders hoch. Der Griff zu einem Motorrad mit 150 PS oder mehr nach einer langen Pause ist daher grob fahrlässig. Der Fahrer ist mit der schieren Beschleunigung, dem Ansprechverhalten und der potenten Bremswirkung überfordert. Die mentale Kapazität wird vollständig von der Bedienung des Motorrads absorbiert, es bleibt keine Reserve für die Beobachtung des Verkehrs und antizipatorisches Fahren.

Wiedereinsteiger haben mit die höchsten Unfallraten!

– TCS – Touring Club Schweiz, TCS Ratgeber Sicherheit auf dem Motorrad

Ein strukturierter Plan ist der beste Weg, um sicher und mit Freude wieder in das Hobby einzusteigen. Anstatt sofort das Traum-Bike von früher zu kaufen, empfiehlt sich ein schrittweises Vorgehen. Ein Motorrad mit 48 PS (35 kW) ist die ideale Wahl für die erste Saison. Es erlaubt, die Grundlagen aufzufrischen und Routine aufzubauen, ohne ständig am Limit der eigenen Fähigkeiten zu agieren. Nach einer Saison und einigen tausend Kilometern kann dann ein Umstieg auf ein Motorrad um die 95 PS erfolgen. Dieser schrittweise Aufbau schliesst die Fähigkeits-Lücke sicher und nachhaltig.

Dieser Weg mag für das Ego eine Herausforderung sein, aber er ist der smarteste und sicherste Pfad zurück zur alten Souveränität. Jeder Franken, der in ein Fahrsicherheitstraining investiert wird, bringt mehr als doppelt so viele ungenutzte PS.

Die Leistungsfalle, die 30% der Wiedereinsteiger-Unfälle in der Schweiz verursacht

Die „Leistungsfalle“ ist ein psychologisches Phänomen. Sie beschreibt den Moment, in dem die Leistung des Motorrads die kognitiven Fähigkeiten des Fahrers übersteigt. Man ist so sehr damit beschäftigt, die schiere Kraft zu bändigen, dass keine mentalen Ressourcen mehr für das Wesentliche bleiben: die Antizipation von Gefahren. Ein plötzliches Bremsmanöver des Autos vor einem, ein Kind, das auf die Strasse läuft, oder ein unachtsamer Spurwechsel eines anderen Verkehrsteilnehmers – all das erfordert blitzschnelle Reaktionen. Ist das Gehirn aber bereits zu 100% mit der Gas- und Bremsdosierung eines überpotenten Motorrads beschäftigt, verlängert sich die Reaktionszeit fatal.

Diese Falle ist besonders für Wiedereinsteiger relevant, deren automatisierten Reflexe („Muscle Memory“) für Notbremsungen oder Ausweichmanöver nicht mehr abrufbar sind. Sie verlassen sich auf ein Können, das sie vor 10 Jahren hatten, aber ihr Körper kann es nicht mehr umsetzen. Die hohe Leistung kaschiert dieses Defizit nicht, sie potenziert es. Eine kleine Unachtsamkeit, ein zu brüsker Gasstoss in Schräglage, und das Motorrad bricht aus. Genau hier liegt die Gefahr.

Das Paradoxe dabei ist, dass die grösste Gefahr oft nicht vom Fahrer selbst ausgeht. Eine Schweizer Unfallstatistik zeigt, dass bei in über 50% der schweren Motorradunfälle den Motorradfahrer keine oder nur eine Teilschuld trifft. Es sind die Fehler der anderen, auf die man reagieren muss. Wer auf einem beherrschbaren Motorrad sitzt, hat die nötigen mentalen Reserven, um diese Fehler auszubügeln. Wer von der Leistung seines eigenen Fahrzeugs überfordert ist, wird selbst zum Opfer. Die Wahl einer moderaten Leistung ist also keine Kapitulation, sondern eine strategische Entscheidung für mehr aktive Sicherheit.

Die klügste Wahl ist immer das Motorrad, das Ihnen den Kopf frei hält, um die Strasse und den Verkehr zu lesen, anstatt nur das eigene Tacho.

Sollten Sie ein 120-PS-Motorrad gedrosselt kaufen und später öffnen?

Die Idee klingt verlockend: Man kauft sein Traummotorrad mit beispielsweise 120 PS, lässt es für die Anfangszeit auf A2-konforme 48 PS drosseln und entfesselt die volle Leistung, sobald man sich sicher fühlt. Dieser Weg bietet den Vorteil, dass man sich nur einmal an ein Fahrzeug (Geometrie, Gewicht, Handling) gewöhnen muss. Technisch ist dies bei vielen Modellen über einen Gaswegbegrenzer oder eine Anpassung der ECU (Steuergerät) möglich. Allerdings ist dieser Weg mit Kosten und bürokratischem Aufwand verbunden. Sowohl die Drosselung als auch die spätere Entdrosselung müssen von einer Fachwerkstatt durchgeführt und beim kantonalen Strassenverkehrsamt vorgeführt und im Fahrzeugausweis eingetragen werden. Allein für die Vorführung können Kosten anfallen, wie Erfahrungsberichte von rund 120 CHF für die Vorführung beim Strassenverkehrsamt Zürich zeigen. Hinzu kommen die Werkstattkosten.

Detailaufnahme eines Motorrad-Steuergeräts während technischer Anpassung

Ein gedrosseltes Hochleistungsmotorrad ist zudem immer ein Kompromiss. Der Motor ist für eine viel höhere Leistung ausgelegt, das Fahrwerk und die Bremsen sind oft überdimensioniert für die gedrosselte Leistung. Das kann zu einem unausgewogenen Fahrgefühl führen. Die Alternative ist der Kauf eines „echten“ 48-PS-Motorrads, das von Grund auf für diese Leistungsklasse konzipiert wurde. Diese Motorräder sind oft leichter, agiler und harmonischer im Fahrverhalten. Der spätere Verkauf und Umstieg auf ein stärkeres Modell ist zwar mit Aufwand verbunden, garantiert aber, dass man in jeder Phase ein optimal abgestimmtes Fahrzeug fährt.

Die folgende Tabelle, basierend auf einer Analyse der Vor- und Nachteile, stellt die beiden Optionen gegenüber.

Drosselung vs. Zwei separate Motorräder
Option Initialkosten Folgekosten Vor- und Nachteile
Gedrosseltes 120-PS-Motorrad Kauf + 200-1000 CHF Drosselung 120-200 CHF Entdrosselung + MFK + Ein Motorrad / – Kompromittierte Charakteristik
48-PS-Motorrad, später 120-PS Kauf 48-PS-Bike Verkauf + Kauf 120-PS + Optimale Abstimmung / – Wertverlust beim Verkauf

Finanziell ist der gestaffelte Kauf durch den Wertverlust oft teurer, fahrerisch ist er jedoch meist die harmonischere und somit sicherere Lösung.

Warum nutzen 95% der Superbike-Besitzer nur 30% auf öffentlichen Strassen?

Ein modernes Superbike mit über 200 PS ist ein hochspezialisiertes Sportgerät, dessen Konstruktionsziel ein einziges ist: maximale Rundenzeiten auf einer Rennstrecke. Jedes Bauteil, von der Aerodynamik über die Motorcharakteristik bis hin zur extrem sportlichen Sitzposition, ist diesem Ziel untergeordnet. Auf öffentlichen Strassen verkehrt sich dieser Vorteil jedoch ins Gegenteil. Wie Experten von Fachmagazinen erklären, ist ein Superbike für die Rennstrecke konzipiert, wo die Aerodynamik erst ab 180 km/h optimal wirkt – eine Geschwindigkeit, die auf Schweizer Strassen utopisch ist. Unterhalb dieses Bereichs ist die aufwändige Verkleidung oft nur Design.

Die Motorcharakteristik ist ein weiteres Problem. Die Leistung entfaltet sich meist brutal in hohen Drehzahlbereichen. Im Stop-and-Go-Verkehr oder bei Tempo 50 in der Stadt läuft der Motor unrund und unterfordert. Die harte Federung, die auf der Rennstrecke für Stabilität sorgt, wird auf unebenen Landstrassen zur Tortur. Die radikale Sitzposition belastet Handgelenke und Nacken. Man besitzt ein Rennpferd, zwingt es aber zum Schritttempo im Stadtpark. Das Resultat ist Frustration statt Faszination.

Fallbeispiel: Die Realität der stärksten Serienmotorräder

Eine Analyse der stärksten Serienmotorräder der Welt von 1000ps.ch zeigt die Absurdität im Strasseneinsatz. An der Spitze steht die Kawasaki Ninja H2 R mit kompressorgeladenen 310 PS. Besitzer berichten, dass das Bike im Bereich zwischen 200 und 300 km/h jedes andere Sportmotorrad wie einen „125er-Scooter“ wirken lässt. Diese Leistung ist auf öffentlichen Strassen nicht nur illegal, sondern schlicht selbstmörderisch. Der Unterschied zwischen der theoretischen Möglichkeit und der praktischen Nutzbarkeit in der Schweiz könnte nicht grösser sein.

Der Besitz eines solchen Motorrads ist für die meisten Fahrer ein Statement. Man kauft die Aura des Rennsports und die Gewissheit, das technisch Machbare zu besitzen. Die ehrliche Erkenntnis ist jedoch, dass diese Leistung auf der Strasse fast vollständig ungenutzt bleibt und der Fahrspass oft auf der Strecke bleibt.

Wer die Faszination hoher Leistung wirklich erleben will, muss dorthin gehen, wo sie hingehört: auf die Rennstrecke.

48, 95 oder 150 PS: Welche Leistungsstufe für Wiedereinsteiger nach 10 Jahren Pause?

Lassen Sie uns noch einmal tief in die Psyche des Wiedereinsteigers blicken. Nach der Entscheidung, wieder aufs Motorrad zu steigen, ist die Euphorie gross. Man erinnert sich an die Touren von vor 15 Jahren, an das Gefühl der Freiheit und das eigene Können. Hier liegt der Denkfehler: Das Gehirn erinnert sich an das Ergebnis (die souverän gefahrene Kurve), aber es hat die dafür nötigen, über Jahre antrainierten Mikro-Bewegungen vergessen. Das Timing für das Herunterschalten vor der Kehre, der sanfte Druck am Lenker fürs Einlenken, die dosierte Bremse in Schräglage – all das ist kein bewusstes Wissen, sondern tief verankerte motorische Fähigkeit, die ohne Praxis verkümmert.

Der Sprung auf ein 150-PS-Motorrad ist deshalb so gefährlich, weil es diese „Fähigkeits-Lücke“ gnadenlos aufdeckt. Wo früher eine flüssige Bewegung war, ist heute eine zögerliche, grobe Aktion. Ein 150-PS-Motor reagiert auf einen zu groben Gasstoss mit einem brutalen Leistungsschub, der den Fahrer erschreckt und zu einer falschen Reaktion verleitet. Ein moderates 48-PS-Bike hingegen ist fehlerverzeihender. Es gibt dem Fahrer die Zeit, seine alten Fähigkeiten in einer sicheren Umgebung neu zu kalibrieren. Der Kopf lernt schnell, aber die Hände und Füsse brauchen hunderte von Wiederholungen, um ihre alte Präzision wiederzuerlangen.

Die Wahl zwischen 48, 95 oder 150 PS ist für einen Wiedereinsteiger also keine Frage des Charakters, sondern eine Frage der Trainingsmethode. Betrachten Sie die erste Saison auf einem 48-PS-Motorrad nicht als Einschränkung, sondern als professionelles Trainingslager. Es ist die Phase, in der Sie die Fundamente neu giessen. Erst wenn das Bremsen, Schalten und Einlenken wieder absolut intuitiv und unterbewusst ablaufen, sind Sie bereit für den nächsten Schritt. Der Umstieg auf 95 PS fühlt sich dann nicht wie ein Sprung ins kalte Wasser an, sondern wie eine logische Weiterentwicklung, die Sie voll und ganz geniessen und beherrschen können.

Denken Sie daran: Ein echter Profi wählt immer das Werkzeug, das der Aufgabe angemessen ist, nicht das grösste, das er im Werkzeugkasten finden kann.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die PS-Wahl ist eine psychologische Entscheidung: Es geht um die ehrliche Einschätzung des eigenen, aktuellen Könnens, nicht um das Ego.
  • Die „Fähigkeits-Lücke“ ist das grösste Risiko für Wiedereinsteiger. Hohe Leistung potenziert hier die Gefahr.
  • Weniger ist mehr: Auf Schweizer Strassen bringen Agilität und Drehmoment mehr Fahrspass als brachiale Spitzenleistung. Investieren Sie in Training, nicht nur in PS.

Wie Sie ein Superbike auf der Rennstrecke sicher an seine Grenzen bringen

Wenn die Faszination für Geschwindigkeiten jenseits der 200 km/h und maximale Schräglagen Sie nicht loslässt, gibt es nur einen vernünftigen und legalen Ort, um diese Leidenschaft auszuleben: die Rennstrecke. Hier können Sie in einem kontrollierten Umfeld, frei von Gegenverkehr, Fussgängern und unvorhersehbaren Gefahren, das volle Potenzial eines Superbikes entdecken. Doch auch hier ist der Respekt vor der Leistung das oberste Gebot. Einfach ein Ticket für einen „Trackday“ zu buchen und loszufahren, ist der schnellste Weg ins Kiesbett.

p>Der Schlüssel zu einem sicheren und lehrreichen Rennstreckenerlebnis ist eine professionelle Anleitung. Zahlreiche Veranstalter in der Schweiz und im nahen Ausland bieten strukturierte Rennstreckentrainings an, die speziell auf verschiedene Erfahrungslevel zugeschnitten sind. In diesen Kursen lernen Sie unter der Aufsicht von erfahrenen Instruktoren die Grundlagen: die richtige Linienwahl, die Bremspunkte, die Blickführung und die korrekte Körperhaltung. Sie werden schrittweise an höhere Geschwindigkeiten und grössere Schräglagen herangeführt, immer innerhalb Ihrer persönlichen Komfortzone.

Fallbeispiel: Strukturiertes Training für Schweizer Fahrer

Ein hervorragendes Beispiel ist das Angebot auf dem Anneau du Rhin im Elsass, nahe der Schweizer Grenze. Die 3.6 km lange Strecke bietet ein sicheres Layout für Einsteiger. Schweizer Veranstalter wie Plüss Moto Sport organisieren dort Trainings, bei denen die Teilnehmer in homogene Leistungsgruppen eingeteilt werden (z. B. Anfänger, Fortgeschrittene, Experten). Dies stellt sicher, dass niemand über- oder unterfordert wird und man sich voll auf das Lernen konzentrieren kann. Mit Instruktoren, die vorfahren und Feedback geben, ist der Lernerfolg und die Sicherheit maximal.

Ein solches Training ist die beste Investition, die ein Besitzer eines leistungsstarken Motorrads tätigen kann. Es transformiert den Respekt vor der Leistung in echtes Können und das Gefühl der Überforderung in pure Freude an der Beherrschung des Fahrzeugs. Erst hier schliesst sich der Kreis: Die auf dem Datenblatt versprochenen Emotionen werden endlich real und sicher erlebbar.

Um ein Superbike wirklich zu geniessen, führt kein Weg daran vorbei, die Kunst des sicheren Fahrens auf der Rennstrecke zu erlernen.

Die Entscheidung für das richtige Motorrad ist eine sehr persönliche. Bewerten Sie Ihr Fahrkönnen ehrlich, definieren Sie Ihren Haupteinsatzzweck und lassen Sie das Ego in der Garage. Um diese Selbstreflexion in die Praxis umzusetzen, ist ein Fahrsicherheitstraining der logische nächste Schritt, um Ihre Fähigkeiten zu überprüfen und auszubauen.

Geschrieben von Michael Weber, Michael Weber ist Elektroingenieur FH mit Spezialisierung auf Motorrad-Sicherheitssysteme und arbeitet seit 14 Jahren in der Entwicklung elektronischer Fahrassistenzsysteme bei einem europäischen Motorradhersteller.