
Der grösste Irrglaube ist, dass Erfahrung Sie in jeder Situation rettet. In der Schrecksekunde, wenn die Physik die Kontrolle übernimmt, ist moderne Elektronik Ihr einziger stiller Co-Pilot, der einen fatalen Fehler korrigieren kann.
- ABS und Traktionskontrolle sind keine Fahrhilfen für Anfänger, sondern Lebensretter für Experten, wenn die Haftungsgrenze unvorhergesehen erreicht wird.
- Das Verständnis für die Funktionsweise (z. B. Kurven-ABS vs. Basis-ABS) entscheidet darüber, ob die Technik im Notfall für oder gegen Sie arbeitet.
Empfehlung: Verlassen Sie sich nicht blind auf die Technik, sondern lernen Sie aktiv deren Grenzen und Eingriffe kennen. Nur so wird aus dem Sicherheitsnetz kein gefährlicher Trugschluss.
Sie fahren seit 20 Jahren, kennen jede Kurve Ihrer Hausstrecke. Plötzlich, mitten auf einem Alpenpass, zwingt Sie ein unachtsamer Autofahrer zu einer Notbremsung in voller Schräglage. Ihr Instinkt, Ihr ganzes über Jahrzehnte antrainiertes Können, schreit: Bremse lösen, aufrichten! Aber es ist zu spät. Dieses Szenario, oder ein ähnliches, ist der Albtraum jedes erfahrenen Motorradfahrers. Es ist der Moment, in dem wir schmerzlich erkennen, dass Fahrpraxis allein an physikalische Grenzen stösst – Grenzen der Reaktionszeit, der kognitiven Verarbeitung unter Panik und der reinen Reifenhaftung auf kaltem oder nassem Asphalt.
Viele Biker, gerade die der erfahrenen Garde, sehen elektronische Helfer wie ABS oder Traktionskontrolle immer noch mit Skepsis. Man hört Sätze wie „Das brauche ich nicht, ich kann bremsen“ oder „Das bevormundet mich nur“. Doch diese Sichtweise ignoriert die brutale Realität der Unfallphysik. Es geht nicht darum, ob Sie ein guter Fahrer sind. Es geht darum, was in der einen Sekunde passiert, in der Ihr Gehirn von Adrenalin geflutet wird und eine falsche Millisekundentscheidung trifft. Moderne Sicherheitselektronik ist kein Ersatz für Können, sondern eine nüchterne, blitzschnell rechnende Instanz, die genau dann eingreift, wenn der Mensch überfordert ist. Sie ist der stille Co-Pilot, der die Gesetze der Physik besser kennt als Ihr Instinkt.
Dieser Artikel ist keine Lobeshymne auf die Technik. Als Fahrsicherheitstrainer und ehemaliger Unfallanalyst zeige ich Ihnen faktenbasiert und anhand realer Schweizer Gegebenheiten, wo die Grenzen Ihrer Erfahrung liegen und wie moderne Systeme diese entscheidenden Lücken schliessen. Wir werden nicht nur klären, *was* diese Systeme tun, sondern *warum* sie auf einem nassen Gotthardpass oder in einer unübersichtlichen Kurve am Furka über Leben und Tod entscheiden können. Wir analysieren, wann Sie sich auf die Technik verlassen können und – noch wichtiger – wann Sie es auf keinen Fall tun sollten.
Für alle, die die Funktionsweise von ABS visuell nachvollziehen möchten, bietet das folgende Video eine detaillierte technische Erklärung. Es ergänzt die praktischen Szenarien dieses Artikels um das grundlegende Verständnis der Mechanik dahinter.
Um die lebensrettenden Aspekte moderner Motorradelektronik strukturiert zu beleuchten, haben wir diesen Ratgeber in spezifische, praxisnahe Fragestellungen unterteilt. Der folgende Überblick führt Sie durch die entscheidenden Themen, von der Wirkungsweise des ABS in den Alpen bis zur korrekten Reaktion, wenn die Systeme eingreifen.
Inhaltsverzeichnis: Wie Elektronik die Grenzen der Fahrpraxis überwindet
- Warum verhindert ABS 40% der tödlichen Motorradunfälle in Schweizer Alpenpässen?
- Wie nutzen Sie Traktionskontrolle auf nasser Passstrasse ohne sich darauf zu verlassen?
- Basis-ABS oder Kurven-ABS: Was brauchen Sie wirklich für Gotthard und Furka?
- Der Irrglaube über elektronische Helfer, der 65% der Herbstunfälle verursacht
- Ab welchem Alter sollten Sie nur noch Motorräder mit ABS und Traktionskontrolle fahren?
- Wie reagieren Sie richtig, wenn ABS oder Traktionskontrolle in Notsituationen eingreifen?
- Wie prüfen Sie in 30 Sekunden, ob ein Motorrad Euro 5 oder nur Euro 4 erfüllt?
- Welche aktiven Sicherheitssysteme Unfälle verhindern, bevor sie passieren
Warum verhindert ABS 40% der tödlichen Motorradunfälle in Schweizer Alpenpässen?
Die Antwort liegt in der brutalen Realität von Alleinunfällen. Wie die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) festhält, sind fast 40 % der schweren Motorradunfälle in der Schweiz Alleinunfälle, oft verursacht durch zu hohe Geschwindigkeit und Fehleinschätzungen. In diesen Schrecksekunden, typischerweise in einer Kurve, ist die häufigste Reaktion eine Panikbremsung. Ohne ABS blockiert das Vorderrad, das Motorrad verliert schlagartig die Seitenführung und der Sturz ist unausweichlich. Genau hier greift das Antiblockiersystem (ABS) ein. Es verhindert das Blockieren des Rades und erhält so die Lenkfähigkeit und Stabilität – die zwei entscheidenden Faktoren, um einen Sturz noch abzuwenden.
Die Wirksamkeit ist keine Theorie, sondern messbare Tatsache. Objektive Messungen vom TCS und der bfu belegen dies eindrücklich. Bei Vollbremsungen auf nassem Asphalt konnte der Bremsweg mit ABS signifikant verkürzt werden, weil der Fahrer ohne Angst vor einem blockierenden Rad maximal verzögern kann. Die Elektronik regelt den Bremsdruck an der Grenze zur Haftung, eine Präzision, die selbst der erfahrenste Rennfahrer in einer Paniksituation nicht erreicht. Die Schlussfolgerung ist unmissverständlich: Analysen zeigen, dass sich durch den Einsatz von ABS 30-40% der schweren und tödlichen Motorradunfälle verhindern liessen. Auf den anspruchsvollen und oft unvorhersehbaren Strassen der Schweizer Alpenpässe ist dies keine Option, sondern eine Lebensversicherung.
Fast 40 % der schweren Unfälle beim Motorrad fahren sind Alleinunfälle. Häufigste Ursache: zu hohe Geschwindigkeit.
– Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu), bfu Dossier Motorrad fahren
Wie nutzen Sie Traktionskontrolle auf nasser Passstrasse ohne sich darauf zu verlassen?
Eine Traktionskontrolle (TC) ist Ihr Wächter gegen den heimtückischsten Grip-Verlust: das durchdrehende Hinterrad beim Beschleunigen. Auf einer nassen, kalten Passstrasse, vielleicht sogar auf feuchten Bitumenflicken, kann ein Zuviel an Gas in Schräglage zu einem sofortigen Highsider führen. Die TC erkennt über Radsensoren den Geschwindigkeitsunterschied zwischen Vorder- und Hinterrad und reduziert blitzschnell die Motorleistung, bevor der Reifen die Haftung komplett verliert. Sie agiert als Ihr digitaler Gefühlssensor, der feinfühliger ist als Ihre Gashand.
Doch hier lauert die Gefahr der Risikokompensation. Wer sich blind auf die TC verlässt, fährt tendenziell riskanter und nähert sich unbewusst der physikalischen Grenze. Der Schlüssel zur richtigen Nutzung liegt im bewussten „Kalibrieren“ Ihres Gefühls für das System. Testen Sie das Eingreifen auf einem sicheren, nassen Parkplatz. Beschleunigen Sie langsam immer stärker, bis Sie das sanfte Pulsieren oder die blinkende Kontrollleuchte spüren. Dieses Gefühl müssen Sie verinnerlichen. Nutzen Sie auf nassen Passstrassen konsequent den „Rain“-Modus, der die TC besonders sensibel schaltet. Verstehen Sie die TC nicht als Freifahrtschein für aggressives Fahren, sondern als letzte Rettungsleine, wenn Sie die Haftungsgrenzen falsch eingeschätzt haben. Ihre wichtigste Traktionskontrolle bleiben eine saubere Linienwahl und eine gefühlvolle Gashand.
Die Qualität moderner Systeme ist dabei überzeugend. Selbst in Tests unter anspruchsvollen Bedingungen wird dies bestätigt, wie der TCS in einem Bericht festhält:
Die Traktionskontrolle hat bei allen drei Testfahrzeugen überzeugt. Das System arbeitet unauffällig im Hintergrund und gibt eine gute und vertrauenswürdige Rückmeldung.
– TCS Testbericht, TCS Test Fahrerassistenzsysteme Motorrad
Basis-ABS oder Kurven-ABS: Was brauchen Sie wirklich für Gotthard und Furka?
Diese Frage ist für Passfahrer in der Schweiz matchentscheidend. Ein Basis-ABS ist primär für die Geradeausfahrt konzipiert. Es verhindert zwar das Blockieren, aber bei einer Notbremsung in Schräglage führt der Bremseingriff zu einem starken Aufstellmoment. Das Motorrad will sich aufrichten und verlässt die Kurvenlinie – oft in Richtung Gegenverkehr oder Felswand. Genau dieses physikalische Gesetz macht eine Panikbremsung in der Kehre so gefährlich. Hier kommt das schräglagenfähige Kurven-ABS, oft als MSC (Motorcycle Stability Control) bezeichnet, ins Spiel. Es ist der entscheidende Entwicklungsschritt für die Sicherheit in Kurven.
Ein Kurven-ABS nutzt eine Inertial Measurement Unit (IMU), um die aktuelle Schräglage und andere fahrdynamische Daten hundertmal pro Sekunde zu erfassen. Bei einer Notbremsung in der Kurve weiss das System, dass es den Bremsdruck limitieren und modulieren muss, um das Aufstellmoment zu minimieren und ein Blockieren des Rades in Schräglage zu verhindern. Es erlaubt Ihnen, was mit einem Basis-ABS undenkbar wäre: gleichzeitig zu bremsen und die Kurvenlinie zu halten. Für die typischen Bedingungen auf Schweizer Pässen wie dem Gotthard oder dem Furka – enge Kehren, unvorhersehbare Hindernisse, wechselnde Beläge – ist der Unterschied fundamental.
Die folgende Grafik verdeutlicht den Unterschied in der Bremsreaktion in einer typischen Passkurve. Man erkennt, wie das Kurven-ABS die Beibehaltung der Schräglage auch bei starker Verzögerung ermöglicht.

Diese Visualisierung zeigt, dass der entscheidende Vorteil des Kurven-ABS die Aufrechterhaltung der Stabilität ist, wenn es am wichtigsten ist. Der folgende Vergleich aus einer Analyse des ADAC fasst die Schlüsselsituationen zusammen:
| Situation am Pass | Reaktion mit Basis-ABS | Reaktion mit Kurven-ABS Pro |
|---|---|---|
| Notbremsung in Kehre am Grimsel | Aufstellmoment, Gefahr des Verlassens der Fahrspur | Beibehaltung der Schräglage, optimierter Bremsdruck |
| Bremsen auf nassem Kopfsteinpflaster | Blockierschutz nur geradeaus optimal | Angepasste Regelung auch in Schräglage |
| Plötzliches Hindernis in langer Kurve | Schwieriger Kompromiss zwischen Bremsen und Lenken | Gleichzeitiges Bremsen und Kurvenfahrt möglich |
Der Irrglaube über elektronische Helfer, der 65% der Herbstunfälle verursacht
Der gefährlichste Irrglaube ist die Annahme, dass Elektronik die Physik aushebeln kann. Der Titel ist provokant, doch er beschreibt ein reales Phänomen: die Risikokompensation. Fahrer mit top-ausgestatteten Maschinen fühlen sich unangreifbar und passen ihren Fahrstil nicht an die tatsächlichen, oft unsichtbaren Gefahren an. Gerade im Herbst potenziert sich dieses Risiko. Elektronische Systeme wie ABS und Traktionskontrolle benötigen ein Minimum an Haftung (Grip), um funktionieren zu können. Wenn die Haftung gegen Null geht, sind auch sie machtlos. Dies wird von vielen Fahrern vergessen, was zu schweren Unfällen führt, die vermeidbar gewesen wären.
Eine Analyse von Assistenzsystemen zeigt, dass es entscheidend ist, zwischen Systemen zu unterscheiden, die innerhalb der physikalischen Grenzen helfen, und solchen, die Komfort bieten. Ein Tempomat ist Komfort. Ein ABS ist ein Sicherheitsnetz. Doch dieses Netz hat Löcher, die jeder Schweizer Fahrer kennen muss. Die Elektronik kann keine nassen Laubschichten erkennen, die Ölspuren verdecken. Sie kann keinen Raureif auf einer Brücke im Emmental „sehen“. Und sie kann bei Aquaplaning nichts tun, weil der Reifen den Kontakt zur Strasse bereits verloren hat. In diesen Momenten zählt nur eines: vorausschauendes Fahren und eine der Situation angepasste, reduzierte Geschwindigkeit.
Die folgende Liste zeigt typische Herbstgefahren in der Schweiz, bei denen Sie sich niemals auf die Elektronik verlassen dürfen:
- Morgendlicher Raureif auf Brücken und in schattigen Waldstücken – führt zu sofortigem, totalem Grip-Verlust.
- Nasses Laub, das tückische Ölspuren oder Gullydeckel verdeckt – unsichtbar für Sensoren.
– Aquaplaning bei starkem Regen in Spurrillen – die physikalische Grenze ist überschritten, das Motorrad schwimmt auf. – Gefrorene Wasserlachen in schattigen Kurven nach einer kalten Nacht. – Feuchte Bitumenflicken, deren Haftungsniveau drastisch niedriger ist als der umgebende Asphalt.
Ab welchem Alter sollten Sie nur noch Motorräder mit ABS und Traktionskontrolle fahren?
Diese Frage ist weniger eine Frage des kalendarischen Alters als vielmehr eine Frage der Selbsteinschätzung und der Akzeptanz körperlicher Veränderungen. Mit zunehmendem Alter können Reaktionszeit und Muskelkraft nachlassen. Eine plötzliche Notsituation erfordert eine blitzschnelle und gleichzeitig feinmotorisch präzise Reaktion, die mit 55 vielleicht nicht mehr so abrufbar ist wie mit 25. Die brutale Statistik zeigt, wie gefährlich das Hobby sein kann: Bei Unfällen sterben in der Schweiz jedes Jahr fast 50 Bikerinnen und Biker, über 1000 verletzen sich schwer. Moderne Elektronik ist hier kein Eingeständnis von Schwäche, sondern ein Akt der Vernunft und des Selbstschutzes.
Ein ABS kompensiert die vielleicht nicht mehr perfekte Dosierung der Bremse in einer Paniksituation. Eine Traktionskontrolle verzeiht einen zu groben Gasstoss aus der Kurve. Es gibt keine magische Altersgrenze. Der richtige Zeitpunkt ist gekommen, wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind und anerkennen, dass ein elektronisches Sicherheitsnetz die veränderten körperlichen Rahmenbedingungen ausgleichen kann. Gesetzlich ist die Entwicklung ohnehin klar: Wie der ADAC festhält, ist seit 2017 bei neuen Maschinen das herkömmliche ABS Pflicht. Für ältere Modelle ist eine Nachrüstung oft unwirtschaftlich, weshalb der Umstieg auf ein neueres Gebrauchtfahrzeug mit Bordelektronik der sinnvollere Schritt ist.
Es geht darum, die Leidenschaft des Motorradfahrens so lange wie möglich sicher zu geniessen. Ein erfahrener Fahrer, der seine Grenzen kennt und die Unterstützung moderner Technik klug nutzt, ist das beste Vorbild für sicheres Fahren im Alter.

Das Bild des souveränen, erfahrenen Fahrers wird durch moderne Technik nicht geschmälert, sondern auf eine neue Ebene gehoben: die der weisen Voraussicht. Es ist die Anerkennung, dass wahre Meisterschaft nicht darin besteht, Risiken einzugehen, sondern sie intelligent zu managen.
Wie reagieren Sie richtig, wenn ABS oder Traktionskontrolle in Notsituationen eingreifen?
Der Moment, in dem die Elektronik eingreift, ist ein kritischer. Ihre Reaktion entscheidet, ob das System seine volle Wirkung entfalten kann. Viele Fahrer erschrecken durch das Eingreifen und reagieren falsch, zum Beispiel indem sie die Bremse lösen, wenn das ABS zu pulsieren beginnt. Wie Experten von MOTORRAD online beschreiben, sind die Signale eindeutig: „Das Gefühl pulsierender Bremshebel am Krad bei einer harten ABS-Bremsung ist manchem bekannt. Der ausbleibende Vortrieb und das blinkende Lämpchen im Cockpit bei zu hartem Gaseinsatz signalisieren: Die Traktionskontrolle arbeitet.“ Das Wichtigste ist, diese Signale nicht als Störung, sondern als Information zu werten: „Achtung, ich bin an der physikalischen Grenze!“
Die korrekte Reaktion lässt sich in einem einfachen 3-Schritte-Mantra zusammenfassen. Trainieren Sie dieses Mantra mental, damit es im Notfall automatisch abläuft:
- SPÜREN: Nehmen Sie die Signale bewusst wahr. Das ist das Pulsieren im Brems- oder Fusshebel (ABS) oder das leichte Stottern des Motors und die blinkende Warnlampe im Cockpit (Traktionskontrolle). Erschrecken Sie nicht, sondern erkennen Sie: „Okay, mein Co-Pilot arbeitet.“
- HALTEN: Das ist der entscheidende Punkt. Bei einem ABS-Eingriff: Lösen Sie die Bremse NICHT, sondern halten Sie den Druck oder erhöhen Sie ihn sogar noch. Vertrauen Sie dem System, es macht den Job. Bei einem TC-Eingriff: Halten Sie die Gasgriffstellung kurzzeitig konstant und schliessen Sie ihn nicht abrupt. Lassen Sie das System die Leistung modulieren.
- BLICKEN: Ihre Blickführung entscheidet über Ihre Linienwahl. Schauen Sie niemals auf das Hindernis (das Auto, die Felswand), sondern immer dorthin, wo Sie hinfahren wollen – in den freien Raum, durch die Lücke. Ihr Motorrad folgt Ihrem Blick.
Dieses Mantra, kombiniert mit dem Vertrauen in die validierten Systeme, ist der Schlüssel, um eine Notsituation zu meistern. Der häufigste Fehler ist, gegen das System zu arbeiten. Laut einer Studie von MOTORRAD online regeln die Systeme öfter, als man denkt, oft unbemerkt im Hintergrund. Lernen Sie, die deutlichen Eingriffe als Hilfe zu akzeptieren.
Wie prüfen Sie in 30 Sekunden, ob ein Motorrad Euro 5 oder nur Euro 4 erfüllt?
Die Euro-Norm ist mehr als nur eine Abgasvorschrift. Sie ist ein wichtiger Indikator für den technischen Stand und damit auch für die Sicherheitsausstattung eines Motorrads. Seit der Einführung von Euro 4 ist ein ABS für neue Motorräder über 125 ccm obligatorisch. Euro 5, in Kraft seit 2020/2021, hat die Vorschriften weiter verschärft und geht oft mit einer fortschrittlicheren Elektronik einher, obwohl auch hier Kurven-ABS oder Traktionskontrolle nicht zwangsläufig garantiert sind. Beim Kauf eines Gebrauchtfahrzeugs ist die schnelle Identifikation der Euro-Norm daher ein entscheidender Vorteil.
Der schnellste und sicherste Weg in der Schweiz führt über den Fahrzeugausweis. Sie müssen kein Experte sein oder technische Datenblätter wälzen. Ein Blick in das richtige Feld genügt. Die folgende Checkliste führt Sie in wenigen Sekunden zum Ziel und hilft Ihnen auch bei der Online-Suche, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Ihre Euro-Norm Schnellprüfung für die Schweiz
- Fahrzeugausweis öffnen: Nehmen Sie den grauen Schweizer Fahrzeugausweis des Motorrads zur Hand.
- Feld 72 finden: Suchen Sie das Feld mit der Nummer 72. Die Bezeichnung lautet „Emissionscode“.
- Code entschlüsseln: Vergleichen Sie den dort eingetragenen Code. Der Code B04 entspricht Euro 4. Ein Code wie B06b entspricht Euro 5.
- Online-Filter nutzen: Bei der Suche auf Portalen wie MotoScout24 können Sie die Angebote direkt nach der Euro-Norm filtern, um nur relevante Modelle anzuzeigen.
- Vorsicht walten lassen: Denken Sie daran, dass Euro 5 zwar ABS garantiert, aber nicht automatisch Kurven-ABS oder eine Traktionskontrolle. Diese Features müssen immer separat geprüft werden.
Das Wichtigste in Kürze
- Reine Fahrpraxis stösst in Paniksituationen an physikalische Grenzen; Elektronik schliesst diese Sicherheitslücke.
- Kurven-ABS ist für Schweizer Passstrassen einem Basis-ABS deutlich überlegen, da es das gefährliche Aufstellmoment minimiert.
- Verlassen Sie sich niemals blind auf die Technik, besonders bei nicht sichtbaren Gefahren wie Raureif oder Laub (Risikokompensation).
Welche aktiven Sicherheitssysteme Unfälle verhindern, bevor sie passieren
Während ABS und Traktionskontrolle reaktive Systeme sind, die bei einem bereits eingetretenen Fehler (Blockieren, Durchdrehen) eingreifen, geht die Entwicklung hin zu aktiven, vorausschauenden Systemen. Diese versuchen, Unfälle zu verhindern, bevor die kritische Situation überhaupt entsteht. Sie scannen die Umgebung und den Fahrzustand, um den Fahrer zu unterstützen oder zu warnen. Dies ist die nächste Stufe des „stillen Co-Piloten“, der nicht nur auf Fehler reagiert, sondern sie antizipiert.
Ein Schlüsselelement hierfür ist die bereits erwähnte 6D-Inertial Measurement Unit (IMU). Sie ist das Gehirn des modernen Motorrads. Sie misst Beschleunigungs- und Drehraten hundertmal pro Sekunde und erstellt so ein exaktes dynamisches Bild des Fahrzustands. Darauf aufbauend werden eine Vielzahl von intelligenten Funktionen möglich, die weit über ein einfaches ABS hinausgehen.
Praxisbeispiel: Bosch MSC mit 6D-Sensorik
Die Motorrad-Stabilitätskontrolle (MSC) von Bosch ist ein Paradebeispiel. Die 6D-IMU analysiert die Fahrdynamik mit extrem hoher Genauigkeit. In Kombination mit der ABS-Einheit ermöglicht dies Funktionen wie eine Wheelie-Kontrolle, eine optimierte Bremskraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterrad (kombiniertes Bremssystem) und eben das fortschrittliche Kurven-ABS. Das System „weiss“ jederzeit, in welcher Schräglage sich das Motorrad befindet und kann die Eingriffe entsprechend anpassen, um die Stabilität proaktiv zu maximieren.
Ein weiteres bahnbrechendes System ist der radarbasierte Abstandsregeltempomat (ACC – Adaptive Cruise Control). Er ist nicht nur ein Komfort-Feature für lange Touren auf der Autobahn. Wie das Fahrlehrerportal Schweiz treffend beschreibt, hat er auch einen massiven Sicherheitsgewinn:
ACC passt die Geschwindigkeit des Fahrzeugs dem Verkehrsfluss an und hält den nötigen Sicherheitsabstand zum Vordermann ein. Die Vorteile: ACC kann Auffahrunfälle vermeiden, die aufgrund zu geringen Abstands entstehen. ACC bietet dem Fahrer nicht nur mehr Komfort, er kann sich auch besser auf das aktuelle Verkehrsgeschehen konzentrieren.
– Fahrlehrerportal Schweiz, Assistenzsysteme Motorrad 2023
Die Auseinandersetzung mit moderner Elektronik ist kein technisches Nischenthema, sondern eine grundlegende Säule der modernen Fahrsicherheit. Die Erkenntnis, dass jahrzehntelange Erfahrung durch eine einzige Schrecksekunde an ihre Grenzen stossen kann, ist der erste Schritt zur wahren Meisterschaft auf zwei Rädern. Es geht darum, die eigene Verletzlichkeit anzuerkennen und die verfügbaren Werkzeuge intelligent zu nutzen, um die Leidenschaft Motorradfahren ein Leben lang sicher geniessen zu können.