
Das Überleben auf dem Motorrad ist kein Zufall, sondern das Resultat eines systematisch aufgebauten, mehrschichtigen Schutzsystems, das die Aufprallenergie von der Haut bis zum Airbag gezielt managt.
- Eine Airbag-Weste verdoppelt die Überlebenschance bei schweren Unfällen, indem sie Energien absorbiert, die passive Protektoren überfordern.
- Moderne Systeme wie die Helmnorm ECE 22.06 und das Kurven-ABS sind technologische Quantensprünge, die spezifische Unfallrisiken auf Schweizer Strassen entschärfen.
Empfehlung: Analysieren Sie Ihre Ausrüstung nicht als separate Teile, sondern als integriertes Gesamtsystem zur Verteidigung in der Tiefe.
Für einen sicherheitsbewussten Motorradfahrer in der Schweiz ist die Frage nicht, ob man Schutzausrüstung trägt, sondern ob diese Ausrüstung als zusammenhängendes System funktioniert. Die landläufige Meinung konzentriert sich oft auf einzelne Komponenten: den Helm, die Lederkombi, die Protektoren. Doch diese Sichtweise ist gefährlich unvollständig. Angesichts von Statistiken, die allein für 2023 in der Schweiz 1160 schwerverletzte Motorradfahrende ausweisen, wird klar, dass ein reaktiver Ansatz nicht mehr ausreicht. Es braucht ein proaktives Sicherheitskonzept.
Die eigentliche Revolution in der persönlichen Sicherheit liegt nicht in einem einzelnen Wundermaterial, sondern in der Anwendung eines Prinzips aus der Militärstrategie: der **Verteidigung in der Tiefe (Defense-in-Depth)**. Doch was, wenn der Schlüssel zur Maximierung Ihrer Überlebenschancen nicht nur darin liegt, *was* Sie tragen, sondern *wie* diese Elemente als ein mehrschichtiges Energiemanagement-System zusammenwirken? Jede Schicht hat eine spezifische physikalische Aufgabe: von der Regulierung des Mikroklimas auf der Haut über den Abriebschutz bis hin zur Absorption brachialer Aufprallenergie.
Dieser Artikel analysiert mit der Präzision eines Sicherheitsingenieurs, wie Sie ein solches System aufbauen. Wir werden die physikalische Wirkungsweise jeder Schutzschicht entschlüsseln, die Synergien zwischen passiven und aktiven Systemen aufzeigen und eine klare Methodik zur Zusammenstellung Ihrer kompletten Schutzausrüstung liefern. Ziel ist es, Ihnen ein tiefgreifendes Verständnis zu vermitteln, wie Sie Ihre persönliche Sicherheit von einem Zufallsprodukt in ein kalkulierbares System verwandeln.
Die folgende Gliederung führt Sie systematisch durch jede Ebene dieser Schutzstrategie. Von der fundamentalen Rolle der Airbag-Weste bis hin zur neuesten Helmtechnologie erfahren Sie, wie die einzelnen Komponenten zu einem Ganzen zusammengefügt werden, das weit mehr ist als die Summe seiner Teile.
Inhaltsverzeichnis: Aufbau einer ganzheitlichen Schutzstrategie für Motorradfahrer
- Warum verdoppelt eine Airbag-Weste Ihre Überlebenschance bei schweren Unfällen?
- Wie bauen Sie Schutz in 4 Schichten von Haut bis Airbag auf?
- Passive Protektoren oder Airbag-Weste: Was schützt bei welchem Unfalltyp besser?
- Warum bietet eine Lederkombi allein nur 45 % des Schutzes einer Textilkombi mit Airbag?
- Ab welcher Fahrleistung oder Risikoexposition rechtfertigt sich eine Airbag-Weste?
- Wie stellen Sie in 5 Schritten Ihre komplette Schutzausrüstung zusammen?
- Notbrems-Assistent oder Kurven-ABS: Was verhindert mehr tödliche Unfälle?
- Wie der richtige Helm Ihre Überlebenschance bei Kopfaufprall um 95 % erhöht
Warum verdoppelt eine Airbag-Weste Ihre Überlebenschance bei schweren Unfällen?
Eine Airbag-Weste ist nicht nur eine weitere Schutzschicht; sie ist ein Paradigmenwechsel im persönlichen Sicherheitsmanagement. Während traditionelle Protektoren Energie durch Verformung und Verteilung auf eine grössere Fläche absorbieren, führt der Airbag ein neues physikalisches Prinzip ein: die **kontrollierte Verzögerung**. Bei einem Aufprall bläst sich das System in Millisekunden auf und schafft eine grosse, luftgefüllte Barriere zwischen dem Fahrer und dem Hindernis. Diese Barriere verlängert den Bremsweg des Oberkörpers um entscheidende Zentimeter, was die auf den Körper wirkenden Spitzenkräfte drastisch reduziert.
Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) hebt hervor, dass solche Systeme die Unfallfolgen signifikant mindern. Der entscheidende Vorteil liegt in der Fähigkeit, die massive Energie des Hauptaufpralls grossflächig zu absorbieren. Noch wichtiger ist, dass der Airbag durch die Stabilisierung des gesamten Rumpfes und des Nackens **gefährliche Hyperflexionen und Hyperextensionen der Wirbelsäule** verhindert. Dies ist eine kritische Schwachstelle, die selbst die beste konventionelle Schutzbekleidung nicht abdecken kann. Der Airbag schützt also nicht nur vor dem direkten Aufprall, sondern auch vor den sekundären, oft verheerenden Verletzungen durch die peitschenartige Bewegung des Körpers.
Finanziell betrachtet, relativiert sich die Anfangsinvestition von 600 bis 1500 CHF schnell. Vergleicht man dies mit den potenziellen Spitalkosten von über 1000 CHF pro Tag in der allgemeinen Abteilung nach einem schweren Unfall und dem durch die UVG gedeckelten Höchstlohn, wird die Airbag-Weste zu einer rationalen Investition in die eigene körperliche und finanzielle Unversehrtheit. Sie ist die ultimative Eskalationsstufe im persönlichen Schutzsystem, die dann eingreift, wenn alle anderen passiven Massnahmen an ihre physikalischen Grenzen stossen.
Wie bauen Sie Schutz in 4 Schichten von Haut bis Airbag auf?
Ein effektives Schutzsystem folgt dem Zwiebelprinzip, einer systematischen Schichtung, bei der jede Lage eine spezifische Funktion im Energiemanagement und Komfort erfüllt. Dieses Konzept der „Verteidigung in der Tiefe“ lässt sich in vier plus eine grundlegende Schicht unterteilen, die zusammen ein robustes Gesamtsystem bilden.
Schicht 0: Die Basis – Fahrkompetenz. Bevor materielle Schichten zum Tragen kommen, ist die fahrerische Kompetenz die erste und wichtigste Verteidigungslinie. Regelmässige Fahrperfektionstrainings, wie sie vom TCS oder spezialisierten Anbietern auf Schweizer Rennstrecken angeboten werden, reduzieren die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls fundamental.
Anschliessend folgt die materielle Schichtung:
- Schicht 1: Die Klimaschicht (Funktionsunterwäsche). Direkt auf der Haut sorgt sie für ein stabiles Mikroklima. Sie leitet Schweiss ab, verhindert Auskühlung bei Nässe oder Überhitzung bei Hitze. Ein trockener, konzentrierter Fahrer reagiert schneller und macht weniger Fehler.
- Schicht 2: Die Protektorenschicht. Dies sind die CE-geprüften Hartschalen- oder viskoelastischen Protektoren (ideal Level 2) an Schultern, Ellbogen, Rücken und Knien. Ihre Aufgabe ist es, punktuelle Aufprallenergie auf eine grössere Fläche zu verteilen und den Körper vor Frakturen zu schützen.
- Schicht 3: Die Abriebschicht. Die äussere Hülle aus Leder oder hochfesten Textilien wie Cordura oder Armalith dient primär dem Schutz bei einer Rutschpartie. Sie muss dem Abrieb auf rauem Asphalt standhalten, um die darunterliegenden Schichten und die Haut intakt zu halten.
- Schicht 4: Die Airbag-Schicht. Als äusserste Verteidigungslinie aktiviert sich dieses System bei einem schweren Aufprall. Es schützt den Torso vor extremen Energien und stabilisiert die Wirbelsäule, was über Leben und Tod entscheiden kann.
Diese Schichten sind nicht optional, sondern wirken synergistisch. Das Versagen einer Schicht erhöht die Belastung für die nächste massiv. Nur im Zusammenspiel entfalten sie ihre volle Schutzwirkung.

Wie die Detailansicht verdeutlicht, ist jede Materialschicht für eine spezifische Belastungsart optimiert. Von der feuchtigkeitsableitenden Faser bis zur robusten Aussenhaut greift jedes Element präzise ineinander und bildet ein kohärentes System, das auf die vielfältigen Gefahren des Strassenverkehrs vorbereitet ist.
Passive Protektoren oder Airbag-Weste: Was schützt bei welchem Unfalltyp besser?
Die Frage ist falsch gestellt. Es geht nicht um ein „Entweder-oder“, sondern um ein „Sowohl-als-auch“. Passive Protektoren und Airbag-Systeme sind keine Konkurrenten, sondern Spezialisten, die auf unterschiedliche Unfallkinematiken optimiert sind. Das Verständnis ihrer jeweiligen Stärken ist entscheidend für den Aufbau einer lückenlosen Verteidigung.
Passive Protektoren (z.B. an Ellbogen, Knien, Rücken) sind die Experten für den **Rutsch- und Gleitunfall**. Laut einer Analyse der BFU zu Unfallszenarien auf Schweizer Strassen machen Selbstunfälle, oft durch zu hohe Geschwindigkeit in Kurven auf Passstrassen verursacht, rund 46 % der schweren Unfälle aus. Bei einem solchen Sturz ist der primäre Schutzmechanismus die Abriebfestigkeit der Aussenkombi und die Fähigkeit der passiven Protektoren, die ersten, punktuellen Aufprallkräfte zu verteilen und die Gelenke während des Rutschens zu schützen. Sie sind die „Knautschzone“ für den Niedrig- bis Mittelenergie-Aufprall.
Die **Airbag-Weste** hingegen ist der Spezialist für den **Hochgeschwindigkeits-Aufprall**, wie er bei Kollisionen mit anderen Fahrzeugen auftritt. Diese machen die restlichen 54 % der schweren Motorradunfälle aus. Bei einem abrupten Stopp, zum Beispiel bei einem Frontal- oder Seitenaufprall, kann kein passiver Protektor die immense kinetische Energie effektiv managen. Hier spielt der Airbag seine Stärke aus: Er fängt den Torso grossflächig auf, verhindert den harten Anschlag an Fahrzeugteilen oder dem Boden und schützt die inneren Organe sowie die Wirbelsäule vor den verheerenden Kräften der plötzlichen Verzögerung.
Die Kombination beider Systeme schafft eine **Systemredundanz**, die für das breite und unvorhersehbare Spektrum von Unfällen auf Schweizer Strassen unerlässlich ist. Der passive Protektor schützt bei Stürzen mit langer Rutschphase, während der Airbag bei abrupten Kollisionen lebensrettend eingreift. Wer nur auf eines der beiden Systeme setzt, lässt eine kritische Sicherheitslücke offen.
Warum bietet eine Lederkombi allein nur 45 % des Schutzes einer Textilkombi mit Airbag?
Die Zahl „45 %“ ist eine konzeptionelle Schätzung, um einen fundamentalen Unterschied im Schutzprinzip zu verdeutlichen. Sie basiert auf der Tatsache, dass eine traditionelle Lederkombi, obwohl exzellent in einer Disziplin, in einer anderen praktisch wirkungslos ist. Eine moderne Textilkombi, kombiniert mit einem Airbag-System, deckt hingegen ein weitaus breiteres Gefahrenspektrum ab.
Der unbestreitbare Vorteil einer Lederkombi liegt in ihrer **überragenden Abriebfestigkeit**. Wie auch der TCS in seinen Empfehlungen bestätigt, bietet hochwertiges Leder nach wie vor den besten Schutz, wenn es darum geht, bei einem Sturz über den Asphalt zu rutschen. Das Material ist extrem zäh und widerstandsfähig gegen Durchscheuern, was die Haut vor schweren Verletzungen schützt. In dieser spezifischen Disziplin – dem Management von Reibungsenergie – ist Leder der Goldstandard.
Das Problem ist jedoch, dass eine Lederkombi allein fast keinen Schutz gegen **plötzliche, hochenergetische Aufprallkräfte** bietet, wie sie bei einer Kollision entstehen. Die integrierten passiven Protektoren können zwar punktuelle Schläge dämpfen, sind aber mit der enormen kinetischen Energie eines Frontal- oder Seitenaufpralls völlig überfordert. Der Körper wird abrupt gestoppt, was zu schweren inneren Verletzungen, Wirbelsäulenschäden und Frakturen führen kann. Hier schützt die Lederkombi nur marginal besser als normale Kleidung.
Eine hochwertige Textilkombi mit einem integrierten oder separaten Airbag-System spielt in einer anderen Liga. Während die Textilschicht einen guten bis sehr guten Abriebschutz bietet (wenn auch oft leicht unter dem von Premium-Leder), adressiert die Airbag-Komponente gezielt die Aufprallenergie. Sie fängt den Torso auf und reduziert die Spitzenbelastung drastisch. Somit deckt diese Kombination beide Hauptunfallarten ab: das Rutschen (Textil/Protektoren) und den harten Aufprall (Airbag). Eine Lederkombi ohne Airbag deckt effektiv nur eines dieser beiden kritischen Szenarien ab, weshalb ihr Gesamtschutzpotenzial konzeptionell auf unter 50 % des Möglichen fällt.
Ab welcher Fahrleistung oder Risikoexposition rechtfertigt sich eine Airbag-Weste?
Diese Frage beruht oft auf zwei Trugschlüssen: „Ich fahre nur wenig, das Risiko ist gering“ und „Ich fahre vorsichtig, mir passiert nichts“. Die Unfallanalyse in der Schweiz widerlegt beide Annahmen auf dramatische Weise. Die Rechtfertigung für ein Airbag-System hängt nicht von den gefahrenen Kilometern ab, sondern von der systemimmanenten Gefahr des Motorradfahrens im öffentlichen Verkehr.
Die erste Fehleinschätzung ist die Korrelation von Risiko und Distanz. Wie Experten für Verkehrssicherheit betonen, ist die Gefahr nicht linear. So hält der TCS in seinen Analysen fest:
Das Risiko eines schweren Unfalls steigt nicht linear mit den gefahrenen Kilometern. Die gefährlichsten Unfälle ereignen sich oft auf kurzen, bekannten Strecken durch Betriebsblindheit.
– TCS Verkehrssicherheit, Sicherheit auf dem Motorrad
Gerade der tägliche Weg zur Arbeit oder die kurze Fahrt zum Supermarkt sind statistisch gesehen hochriskant. Die Routine führt zu Unaufmerksamkeit, während das Verkehrsaufkommen maximal ist. Ein Airbag ist daher kein Luxus für Langstreckenfahrer, sondern eine essenzielle Absicherung für jeden einzelnen Kilometer.
Die zweite Fehleinschätzung betrifft die Kontrolle über das Unfallgeschehen. Selbst der vorsichtigste und erfahrenste Fahrer ist den Fehlern anderer Verkehrsteilnehmer ausgesetzt. Eine BFU-Analyse zeigt, dass bei rund 80 % der Kollisionen ohne Eigenverschulden der Motorradfahrer schlichtweg übersehen wurde. Vorfahrtsmissachtungen, abbiegende Autos oder unachtsame Spurwechsel sind Szenarien, auf die der Fahrer oft nicht mehr reagieren kann. In genau diesen Momenten, in denen die eigene Fahrkompetenz an ihre Grenzen stösst, übernimmt der Airbag als passive, aber lebensrettende Massnahme.
Die Antwort ist also klar: Eine Airbag-Weste rechtfertigt sich ab dem ersten Meter, den Sie auf einer öffentlichen Strasse zurücklegen. Sie ist keine Belohnung für hohe Kilometerleistungen, sondern eine grundlegende Anerkennung der Tatsache, dass ein erheblicher Teil des Risikos ausserhalb der eigenen Kontrolle liegt.
Wie stellen Sie in 5 Schritten Ihre komplette Schutzausrüstung zusammen?
Der Aufbau einer kompletten Schutzausrüstung sollte kein zufälliger Einkauf sein, sondern ein systematischer Prozess, der auf einer klaren Priorisierung der Schutzziele basiert. Es geht darum, die grössten Risiken zuerst zu adressieren und ein lückenloses System zu schaffen. Die folgende Checkliste führt Sie durch diesen Prozess.
Ihr Aktionsplan zur kompletten Schutzausrüstung
- Priorität 1: Schutz vor Aufprallenergie. Beginnen Sie mit den beiden wichtigsten Lebensrettern: Investieren Sie in einen hochwertigen Helm, der die neue, strengere Norm ECE 22.06 erfüllt, und in ein Airbag-System (Weste oder Jacke). Diese beiden Komponenten schützen Kopf und Torso, die verletzlichsten Körperregionen.
- Priorität 2: Abriebschutz sicherstellen. Wählen Sie eine Kombi aus hochwertigem Leder oder technischen Textilien mit hoher Abriebfestigkeit (z.B. Cordura, Armalith). Stellen Sie sicher, dass sie eng genug anliegt, damit die integrierten Protektoren im Falle eines Sturzes nicht verrutschen.
- Priorität 3: Extremitäten schützen. Vervollständigen Sie den Schutz mit stabilen Motorradstiefeln, die einen Knöchelschutz und eine verstärkte Sohle aufweisen. Wählen Sie Handschuhe, die nach EN 13594 zertifiziert sind und über Protektoren an den Knöcheln und Verstärkungen an der Handfläche verfügen.
- Priorität 4: Sichtbarkeit gewährleisten. Denken Sie daran, dass der beste Unfall der ist, der nicht passiert. Wählen Sie Ausrüstung mit hellen Farben oder integrierten reflektierenden Elementen. Eine zusätzliche Leuchtweste bei schlechten Sichtverhältnissen oder in der Dämmerung erhöht Ihre Präsenz im Verkehr massiv.
- Priorität 5: Notfallvorbereitung abschliessen. Ein vollständiges Schutzsystem endet nicht bei der Kleidung. Führen Sie immer ein kompaktes Erste-Hilfe-Set mit, frischen Sie regelmässig Ihren Nothelferkurs auf und installieren Sie die App der Rega auf Ihrem Smartphone für eine schnelle Ortung im Notfall.
Finanziell lässt sich dieser systematische Aufbau in verschiedene Budgetkategorien einteilen. Die folgende Tabelle bietet eine Orientierung für den Schweizer Markt und zeigt, dass ein hohes Schutzniveau nicht zwangsläufig unerschwinglich sein muss, wie eine Analyse der Ausrüstungskosten zeigt.
| Budget-Kategorie | Preis CHF | Hauptkomponenten |
|---|---|---|
| Sicheres Einsteiger-Paket | ca. 1’500 | ECE 22.06 Helm, CE-Level 2 Protektoren, Textilkombi |
| Komfortables Touring-Set | ca. 3’000 | Premium-Helm, Airbag-Weste, wetterfeste Textilkombi |
| Maximale High-Tech-Ausrüstung | > 5’000 | Carbon-Helm, elektronischer Airbag, Lederkombi, beheizbare Ausrüstung |
Diese Budgets verdeutlichen, dass eine umfassende Sicherheit bereits im mittleren Preissegment realisierbar ist, insbesondere wenn man die potenziellen Folgekosten eines Unfalls bedenkt. Die Investition in die Kategorie „Komfortables Touring-Set“ mit einer Airbag-Weste stellt den optimalen Kompromiss aus Kosten und maximaler Schutzwirkung dar.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Konzept der „Verteidigung in der Tiefe“ ist der Schlüssel: Jede Schutzschicht hat eine spezifische Aufgabe im Energiemanagement.
- Eine Airbag-Weste ist keine Option, sondern eine essenzielle Schicht, die bei Kollisionen wirkt, wo passive Protektoren an ihre Grenzen stossen.
- Aktive Sicherheitssysteme (Kurven-ABS) und passive Sicherheit (Helm, Protektoren) sind keine Alternativen, sondern ergänzen sich zu einem lückenlosen Schutzsystem.
Notbrems-Assistent oder Kurven-ABS: Was verhindert mehr tödliche Unfälle?
Beide Systeme gehören zur Kategorie der **aktiven Sicherheit**, deren Ziel es ist, einen Unfall zu verhindern, bevor er überhaupt geschieht. Sie sind die elektronische Erweiterung der Fahrkompetenz. Die Frage, welches System „mehr“ Unfälle verhindert, ist kontextabhängig, da sie zwei der häufigsten, aber grundlegend verschiedenen Unfallursachen in der Schweiz adressieren.
Das **Kurven-ABS** ist der Lebensretter auf den kurvenreichen Land- und Passstrassen der Schweiz. Die häufigste Unfallursache bei Alleinunfällen ist der Kontrollverlust in der Kurve, oft durch eine Schreckbremsung in Schräglage. Ein herkömmliches ABS würde hier das Rad blockieren und zum sofortigen Sturz führen. Das Kurven-ABS hingegen misst die Schräglage des Motorrads und passt den Bremsdruck so an, dass die Räder nicht blockieren und das Motorrad stabil bleibt. Es fungiert als „Rettungsanker“ in einer Situation, die früher fast zwangsläufig zum Sturz führte. Es verhindert den Kontrollverlust, der die Kette der Ereignisse in Gang setzt.
Der **Notbrems-Assistent**, oft Teil eines radargestützten Abstandstempomaten (ACC), zielt auf ein anderes Szenario ab: die Kollision durch Unachtsamkeit oder plötzliche Hindernisse im geraden Strassenverlauf. Dieses System überwacht den vorausfahrenden Verkehr und kann autonom eine Notbremsung einleiten, wenn der Fahrer nicht reagiert. Dies ist besonders bei Auffahrunfällen oder in Situationen wirksam, in denen ein Auto plötzlich die Spur wechselt. Es adressiert die rund 54 % der schweren Unfälle, die auf Kollisionen mit anderen Fahrzeugen zurückzuführen sind.
Welches System ist nun wichtiger? Für den typischen Schweizer Motorradfahrer, der oft auf kurvigen Strecken unterwegs ist, hat das **Kurven-ABS einen höheren Stellenwert**, da es eine der häufigsten und spezifischsten Gefahren des Landes direkt entschärft. Der Notbrems-Assistent ist eine wertvolle Ergänzung, insbesondere für Pendler und Tourenfahrer, die viel Zeit im dichten Verkehr auf Autobahnen und in Städten verbringen. Idealerweise verfügt ein modernes Motorrad über beide Systeme, da sie sich perfekt ergänzen und unterschiedliche, aber gleichermassen tödliche Risiken abdecken. Wie der BFU-Sicherheitsratgeber festhält, haben Motorräder mit ABS nicht nur einen kürzeren Bremsweg, sondern auch eine deutlich geringere Sturzgefahr, was die grundlegende Bedeutung dieser Technologie unterstreicht.
Wie der richtige Helm Ihre Überlebenschance bei Kopfaufprall um 95 % erhöht
Der Helm ist die älteste, bekannteste und nach wie vor wichtigste Komponente der Schutzausrüstung. Ein Kopfaufprall ohne Helm endet fast immer tödlich oder mit schwersten, bleibenden Hirnschäden. Doch nicht jeder Helm ist gleich. Die Einführung der neuen europäischen Prüfnorm **ECE 22.06**, die seit 2024 auch in der Schweiz für neue Modelle verpflichtend ist, markiert einen Quantensprung in der Helmsicherheit.
Die alte Norm ECE 22.05 war über 20 Jahre alt und hatte erhebliche Schwächen. Die neue Norm behebt diese systematisch. Der entscheidende Sicherheitsgewinn liegt in drei Bereichen:
- Test von Rotationskräften: Erstmals wird die Wirkung von Rotationskräften auf das Gehirn getestet. Diese entstehen bei einem schrägen Aufprall und sind eine Hauptursache für schwere Hirnverletzungen. Helme müssen nun nachweisen, dass sie diese gefährlichen Drehbewegungen reduzieren.
- Variable Aufprallpunkte: Während früher an fest definierten Punkten getestet wurde, müssen Helme nach der neuen ECE 22.06 Norm an 12 zusätzlichen, zufällig gewählten Punkten ihre Stossdämpfung beweisen. Dies stellt sicher, dass der gesamte Helm und nicht nur bestimmte Bereiche optimalen Schutz bieten.
- Strengere Prüfung von Anbauteilen: Visiere, Sonnenblenden und Kommunikationssysteme werden nun ebenfalls rigoros getestet. Das Visier muss beispielsweise dem Beschuss mit einer Stahlkugel bei 216 km/h standhalten, um ein Durchdringen von Steinen oder anderen Objekten zu verhindern.
Ein Helm nach der neuen Norm ECE 22.06 bietet somit einen objektiv messbar höheren Schutz als ein älteres Modell. Die Angabe einer 95%igen Erhöhung der Überlebenschance ist symbolisch, verdeutlicht aber die immense Bedeutung des Kopfschutzes. Bei der Wahl des Helms sollte daher nicht nur auf die Passform, sondern zwingend auf dieses neue Zertifikat geachtet werden.
Innerhalb der zertifizierten Helme gibt es eine weitere klare Empfehlung bezüglich der Bauart, die vom TCS unterstützt wird:
Der Integralhelm bietet den besten Schutz, denn er schützt das ganze Gesicht, insbesondere auch den Kiefer.
– TCS, Sicherheit auf dem Motorrad
Klapphelme bieten einen ähnlichen Schutz, sind aber durch ihren Mechanismus eine potenzielle Schwachstelle. Jethelme lassen den gesamten Kinn- und Gesichtsbereich ungeschützt und sind für eine sicherheitsbewusste Fahrweise ungeeignet.
Nachdem Sie nun die einzelnen Schichten und Systeme Ihrer persönlichen „Verteidigung in der Tiefe“ kennengelernt haben, besteht der nächste logische Schritt darin, Ihr eigenes Setup einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Bewerten Sie noch heute, wo Ihr System Lücken aufweist, und erstellen Sie einen Plan, um diese gezielt zu schliessen.